Berlin Ein Jahrhundertmaler stellt aus

Berlin · Neue Berliner Nationalgalerie feiert K. O. Götz kurz vor seinem 100. Geburtstag.

Über sieben Jahrzehnte vitalen Schaffens – das erreichen nur wenige Künstler. Doch K. O. Götz feiert bald 100. Geburtstag, und die Neue Berliner Nationalgalerie widmet ihm bis März 2014 eine umfassende Retrospektive. Götz, in Aachen geboren, war zum Künstler berufen: Gegen den Widerstand der Eltern und trotz des bald erfolgten Mal- und Ausstellungsverbotes unter den Nazis blieb er seinem Talent treu, bereits 1946 erhielt er seine erste Einzelausstellung.

Das Frühwerk ist noch gegenständlich, doch schon hier war Götz experimentierfreudig: Er schuf Bilder, indem er mit einer Luftpumpe Aquarellfarbe auf den Träger spritzte. Das zauberhaft-innige Werk "Begegnung" von 1935 zeugt von dieser Phase. Anfang der 1950er erfolgte der Wandel, der Götz zum Mitbegründer und wichtigsten Vertreter einer neuen Kunstrichtung machte: der informellen deutschen Malerei, die in Amerika mit abstrakten Expressionisten wie Jackson Pollock ihr Pendant hatte. Die Berliner Ausstellung ermöglicht einen Überblick über diese fulminanten Werke, die in ihrer überschäumenden Dynamik, den sprudelnden Farbverläufen und subtil übereinandergelagerten Strukturen und Schichten von größter Sogkraft sind – ob in kräftigen Farben oder starkem Schwarz-Weiß, ob in dichten Geflechten oder zarten Schlieren.

Es ist eine Feier der reinen Malerei, völlig losgelöst von Gegenstand und Bedeutung. Die Technik entstand zufällig, als Götz seinem Sohn Kleisterfarbe anrührte. Auch er malte daraufhin auf Kleistergrund, während die Leinwand auf dem Boden lag, trug Farbe auf und riss sie mit einem Rakel wieder ab, um dann mit dem Pinsel in die Fläche hinein zu arbeiten. Kompositionen mit Überlappungen oder geometrischen Elementen wie "Syksi", "Nordli" (1966) und "Telmo" (2003) zeigen, dass Götz sich ästhetischen Strömungen stellte, ohne seine eigene Bildsprache zu verlieren.

Politische Ereignisse wie die Wiedervereinigung oder die Terroranschläge vom 11. September fanden Niederschlag in seinem Werk, selbst als eine fortschreitende Erblindung dem Fühlen und der Erfahrung Vorrang vor dem Sehen gab. Als Lehrer wird er überdauern, zu seinen Schülern an der Düsseldorfer Akademie zählten Sigmar Polke, Gotthard Graubner und Gerhard Richter. Es war K.O. Götz, der dem berühmtesten deutschen Maler den Rakel mit auf dem Weg gab.

(RP)
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