Ein Erlebnis: neues Buch zu Leben und Werk von Heinrich Heine Heine wird Held einer Graphic Novel

Düsseldorf · Heinrich Heine lebt! Mit der ersten Graphic Novel zur ereignisreichen Lebensfahrt des großen Dichters ist jetzt ein Buch erschienen, das ein literarisches Erlebnis ist.

Der junge Heinrich Heine liest im Düsseldorfer Hofgarten den Cervantes-Roman „Don Quixote“.

Der junge Heinrich Heine liest im Düsseldorfer Hofgarten den Cervantes-Roman „Don Quixote“.

Foto: P. Eickmeyer

Es beginnt mit dem Schluss, also mit der sogenannten Matratzengruft. Und viele, die dieses finstere Wort lesen, wissen gleich Bescheid, von wem hier nur die Rede sein kann: von Heinrich Heine, Düsseldorfs berühmtestem Sohn (wie es so gerne heißt) und einem der größten Dichter, den die deutsche Literaturgeschichte hervorgebracht hat. Dieser unruhige, ironische, politisch-freche wie auch so feinfühlige Geist aber wird in seinem Pariser Exil die letzten acht Lebensjahre im Krankenlager verbringen. Seit 1848 liegt er also in besagter Matratzengruft, dichtet dort unter Schmerzen weiter und sieht sich bald in der Nachfolge des Lazarus: „In meine dunkle Zelle dringt / Kein Sonnenstrahl, kein Hoffnungsschimmer; / Ich weiß, nur mit der Kirchhofsgruft / Vertausch ist dies fatale Zimmer.“ Dieses Zimmer haben wir jetzt vor Augen, diesen an Syphilis sterbenserkrankten Mann - und beides katapultiert uns zu ihm nach Paris ins 19. Jahrhundert.

Mit diesem Lebensende setzt Heines „Lebensfahrt“ ein, so heißt die neue Graphic Novel des Osnabrücker Künstlerpaars Gaby von Borstel und Peter Eickmeyer und die erste zu Heine überhaupt, die jetzt druckfrisch unter die Leute kommt und am Samstag im Düsseldorfer Heine-Institut präsentiert wird. Sie verdient es wirklich, ein literarisches Erlebnis genannt zu werden. Es ist kein Bilderbuch und kein Comic, sondern die einfühlsame Bebilderung von Heines bewegtem Leben, eine Reise durch sein Werk, durch seinen Kopf, seine Zeit.

Da ist der Flug der Krähen über Düsseldorf 1806, wie sie keine Drohne besser zeigen könnte: die befestigte Kleinstadt mit gerade einmal 12.000 Einwohnern, in der der kleine Harry aufwächst – und erst später mit seiner protestantischen Taufe Christian Johann Heinrich Heine heißt –, der im Franziskanerkloster als einziger jüdischer Schüler unterrichtet wird, 1811 in seiner Heimatstadt den Einzug Napoleons erlebt und im Hofgarten erstmals in einen großen Roman abtaucht: in den „Don Quixote“. Textlich sind solche Ausflüge selbst in Kindheit und Jugend des Dichters kein größeres Problem, da Heine selbst ausführlich seine frühe Lebensfahrt beschrieben und bedichtet hat. Und das Künstlerpaar tat gut daran, sich am Werk üppig zu bedienen und Heines bis heute aktuellen Worte umfangreich durch die Graphic Novel wehen zu lesen.

Heine hat es nie an Selbstbewusstsein gemangelt. Er wusste, was er konnte. Und hielt damit auch nicht hinterm Berg. Als er zu Onkel Salomon nach Hamburg geschickt wird und dort zum Kaufmann ausgebildet werden soll, gelingt dies nur mit zweifelhaftem Erfolg. Das sorgt für Ärger und veranlasst den reichen und erfolgreichen Onkel der Familie zu dieser bitteren Klage: „Hätt‘ er was gelernt, braucht er nicht zu schreiben Bücher.“ Darauf Heines Retourkutsche: „Das Beste, was an ihnen ist, besteht darin, dass Sie meinen Namen tragen.“

So sieht Heine in der Graphic Novel aus
8 Bilder

So sieht Heine in der Graphic Novel aus

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Foto: P Eickmeyer/Peter Eickmeyer

Die Gouache-Illustrationen konkurrieren nie mit all den Geschichten und Originaltexten. Mal nehmen sie eine ganze Seite ein und sind ein Statement, mal begleiten sie den Text als kleine Randzeichnungen. Diese Graphic Novel lebt mit ihren Texten und ihren Bildern. Auch darum blättert man das großformatige Buch nicht einfach mal so durch. Es gibt eben nicht nur viel zu lesen und zu schauen, sondern auch nachzudenken.

Natürlich sind Eickmeyer und von Borstel an den vermeintlichen „Gassenhauern“ Heines nicht vorbeigekommen. Also an der Harzreise und dem Gedicht der „Loreley“, das man ohne die Friedrich Silcher-Vertonung im Kopf ja fast gar nicht lesen kann, an „Deutschland. Ein Wintermärchen“ oder auch an den unendlich oft zitierten „Nachtgedanken“. Doch auch das ist eine Emanzipation von gängigen Pflichtlektüre-Erfahrungen: Dass auf dieser „Lebensfahrt“ viele Gesichter Heines sichtbar und manche Entdeckungen möglich werden. Natürlich stehe Heinrich Heine zunächst für große Prosa und Lyrik, so Peter Eickmeyer. Doch haben beide Künstler auf ihrer Reise zum Dichter einen noch anderen Heine kennen und schätzen gelernt. Das ist der politische Schriftsteller, einer, „der immer klar Stellung zu gesellschaftlichen Problemen nahm, der stets den Herrschenden – aber auch dem Volk – misstraute. Der sich aber letztendlich immer als Dichter verstand und sich vor keinen politischen Karren spannen ließ.“ Was ihm der Schriftsteller Ludwig Börne dann auch zum Vorwurf machen sollte.

Schwer zu sagen, was dieses Buch am Ende geworden ist: ein Lese- und Bilderbuch, eine Einführung ins Werk und ein literarischer Werbeblog für einen längst Verstorbenen? Ein Buch als Appetitanreger für den Lesenachwuchs? Oder eine Ermunterung für Erwachsene? Wahrscheinlich ist es von allem etwas. Und das ist die Stärke, nicht die Schwäche dieses feinen Buchs, das seine Leser und Betrachter mit dieser kokettierenden Lebensbilanz entlässt: „Ich habe es, wie die Leute sagen, auf dieser schönen Erde zu nichts gebracht. Es ist nichts aus mir geworden, nicht als ein Dichter.“

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