„E2-E4“ war sein Meisterwerk Krautrock-Pionier Manuel Göttsching ist tot
Manuel Göttsching gehörte zur Krautrock-Band Asha Ra Tempel. Er lieferte mit der Komposition „E2-E4“ eine Urschrift des Techno. Nun ist der 70 Jahre alte Berliner gestorben.
Die Komposition „E2-E4“ von Manuel Göttsching ist eines dieser seltenen Musikstücke, in denen man sich einrichten kann, in denen es sich leben lässt. Es passt zu jeder Gemütslage und könnte ewig weiterlaufen. Es hat stellenweise etwas geradezu Karibisches. Schicht um Schicht wird da aufeinandergelegt: elektronische Percussion, das Pulsieren des Synthesizers. Es zwitschert und stampft, es gleißt und brandet. Kurz vor Schluss greift Göttsching zur E-Gitarre und legt einige Akkorde wie Intarsien in die um sich selbst kreisende Klangskulptur aus dem Computer. Wenn es nach rund einer Stunde schließlich still wird, fühlt es sich an, als habe jemand unerwartet das Licht eingeschaltet. Man blinzelt unwillkürlich, es fehlt etwas. Und so geht es einem jetzt umso mehr. Denn Manuel Göttsching ist am Sonntag gestorben, wie nun bekannt wurde.
Manuel Göttsching gehörte Ende der 1960er, Anfang der 1970er Jahre zur Berliner Elektronik-Szene. Er war eines der Kernmitglieder von Ash Ra Tempel, jener Band, zu deren früher Besetzung auch Klaus Schulze gehörte. Asha Ra Tempel arbeiteten früh mit Synthesizern und veröffentlichten wegweisende Alben wie „Schwingungen“ aus dem Jahr 1972. Das war die Musik, für die der Begriff „Krautrock“ geprägt wurde.
1975 veröffentlichte der von der Minimal Music eines Steve Reich beeinflusste Manuel Göttsching sein Solodebüt, und 1981 entstand durch Improvisation das Stück, das ihn in den Rang eines Pioniers erhob. Weil er damals einen Vertrag mit der Plattenfirma Virgin hatte, spielte er „E2-E4“ deren Boss Richard Branson vor. „Er hatte gerade sein Baby im Arm, und es schlief zur Musik ein“, erinnerte sich Göttsching im Gespräch mit der Rheinischen Post. „Branson sagte: Damit kannst Du ein Vermögen machen! Er hätte es also gekauft. Aber ich habe anders entschieden und es bei dem Label von Klaus Schulze herausgebracht.“ Dort erschien es 1984 abseits der öffentlichen Wahrnehmung.
Ohne die Kenntnis Göttschings fand „E2-E4“ seinen Weg über den Atlantik in den legendären New Yorker Club „Paradise Garage“, wo es zum Hit wurde. 1989 kehrte „E2-E4“ in der Italo-Disco-Version unter dem Titel „Sueño Latino“ nach Europa zurück und wurde zum Chartserfolg. Inzwischen berufen sich Künstler wie Depeche Mode und LCD Soundsystem auf die Komposition, sie gilt als Urschrift von Techno und Trance. Der „Guardian“ nannte Göttsching in einem Porträt ehrfurchtsvoll „The Göttfather“.
Der bescheidene und liebenswerte Göttsching selbst wunderte sich über den Ruhm bei den Nachgeborenen, und er genoss ihn. Er gab „E2-E4“ in remasterter Version heraus und führte das Stück live auf, 2017 auch in Düsseldorf. Er wirkte damals in der Tonhalle wie ein Ingenieur. Hager, weißes Haar, Brille. Sehr konzentriert. Professor Sinus reitet die Soundwellen.
Manuel Göttsching, heißt es, sei friedlich im Kreis seiner Familie gestorben. Er wurde 70 Jahre alt.