Duisburg Duisburg: Tinguelys bewegte Skulpturen

Duisburg · Das Lehmbruck-Museum war zuletzt vor allem durch Querelen im Gespräch. Jetzt hebt die neue Direktorin Söke Dinkla in einer Doppel-Ausstellung die Schätze ihres Hauses – von Wilhelm Lehmbruck bis zu Jean Tinguely.

 Vieles dreht sich, vieles bewegt sich im Lehmbruck-Museum – wie bei diesem Objekt von Jean Tinguely.

Vieles dreht sich, vieles bewegt sich im Lehmbruck-Museum – wie bei diesem Objekt von Jean Tinguely.

Foto: R. Hohl

Im Duisburger Wilhelm-Lehmbruck-Museum hat sich in letzter Zeit viel bewegt: Ein Bild aus der Fälscherwerkstatt Wolfgang Beltraccis hatte sich in eine Ausstellung verirrt, es gab finanzielle Schwierigkeiten, der Lehmbruck-Trakt musste wegen Umbaus vorübergehend schließen, dem Direktor wurde gekündigt, eine neue Direktorin hat ihren Dienst angetreten. Und jetzt macht das Museum endlich auch wieder mit Kunst von sich reden: mit der auf Eigenbesitz bauenden Ausstellung "Moving Sculptures – bewegte Skulpturen".

Auf diesem Gebiet hat das Museum in den zurückliegenden Jahrzehnten manches an Land gezogen, das es sich heute bei weitem nicht mehr leisten könnte. Zum Beispiel drei große bewegliche Skulpturen von Jean Tinguely (1925–1991). Das "Märchenrelief" zählt inzwischen zu den Klassikern des Genres: ein ratternder mechanischer Koloss aus Rädern und Stangen, der einen Zwerg rotieren lässt und auch Frosch und Ente in heftige Bewegung versetzt. Söke Dinkla, die neue Direktorin des Hauses, sieht die Skulptur im Zusammenhang mit den Mobiles von Alexander Calder – auch er ist in der Schau vertreten – und dem Wunsch, das Genre Skulptur vom erdenschweren Anspruch auf Ewigkeit zu befreien. In einem anderen Objekt lässt Tinguely eine Nana-Figur seiner 2002 verstorbenen Ehefrau Niki de Saint Phalle kreisen.

Zu den tragenden Künstlern der Ausstellung zählt ebenso Yves Netzhammer. In einer Installation mit Videoprojektion lässt er einen Schmetterling sowohl gegenständlich als auch virtuell durch die Lüfte schweben, und wer sich das Video lange genug anschaut, muss damit rechnen, dass er den Tod des Schmetterlings miterlebt. Der wird mit einer Rasierklinge zerlegt – ein Gleichnis der kleinen Grausamkeiten, die unser aller Leben durchziehen.

Ohnehin sieht Söke Dinkla in der Ausstellung zahlreiche Themen der Gegenwart aufgehoben. Das sind die Unsicherheit unserer Existenz, der den Einzelnen oftmals überfordernde rasche Wandel und der früher kaum für möglich gehaltene technische Fortschritt. Bruce Nauman, Keith Sonnier, Nam June Paik und Stephan von Huene – sie alle sind in der Duisburger Ausstellung mit Objekten vertreten – haben in ihrer Kunst manches davon vorweggenommen.

Davon kann man sich nun im Lehmbruck-Museum überzeugen, ohne dass man gleich Trübsal blasen müsste. Denn trotz allen existenziellen Ernstes hat diese bemerkenswerte Ausstellung auch ihre heitere Seite. Wer's nicht glaubt, nehme seine Kinder mit.

Die zweite Ausstellung, die Söke Dinkla zum Auftakt ihrer Amtszeit eingerichtet hat, wendet sich mehr an Erwachsene als an Jugendliche; sie gilt dem Patron des Hauses, dem aus Meiderich stammenden Bildhauer, Maler und Grafiker Wilhelm Lehmbruck (1881–1919).

Ein Teil seiner Skulpturen, die normalerweise den jetzt vorübergehend geschlossenen Lehmbruck-Trakt des Museums füllen, ist derzeit in der Nordhalle und im Foyer des Neubaus zu sehen: schlanke, in die Länge gezogene Menschenbildnisse, die existenzielle Einsamkeit verkörpern. "Große Sinnende", "Gestürzter", "Kniende" – das sind Titel dieser Werke, denen als Erfahrung der Krieg und die Verletzlichkeit des Menschen zugrunde liegen. In den "privaten Porträts", die ebenfalls zu sehen sind, stellte Lehmbruck plastisch oder in Bildern Menschen vor, die ihm sehr nahestanden und deren Seele er in und mit seiner Kunst zu offenbaren scheint.

In jenem zurzeit nicht zugänglichen Lehmbruck-Trakt hielt Joseph Beuys wenige Tage seinem Tod seine letzte Rede: eine denkwürdige Verbeugung vor Wilhelm Lehmbruck aus Anlass der Verleihung des Lehmbruck-Preises an Beuys. Der Jüngere bekannte sich demütig dazu, dass er dem Lebenswerk des Älteren wesentliche Impulse zu seiner eigenen Arbeit verdanke. Nicht nur, aber auch deshalb ist der Künstler Wilhelm Lehmbruck bis heute so wichtig.

(RP)
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