Festival „Theater der Welt“ startet Kein Glück, nirgends

Düsseldorf · Puppen sind die Helden des Stücks „Leben und Zeit des Michael K.“ Mit der Uraufführung aus Südafrika wurde jetzt das Festival „Theater der Welt“ in Düsseldorf eröffnet. Es ist ein Theatererlebnis.

 Szene aus der live ausgestrahlten Uraufführung: Michael K. und seine sterbenskranke Mutter.

Szene aus der live ausgestrahlten Uraufführung: Michael K. und seine sterbenskranke Mutter.

Foto: Hans-Juergen Bauer (hjba)

Und wir? Applaudieren am Ende der riesigen, jetzt schwarzen Leinwand, auf der die Namen aller Akteure ablaufen. Doch das ist kein Kino. Nicht einmal großes Kino. Aber es war Theater. Großes Theater.

Das Festival „Theater der Welt“ in Düsseldorf musste mit einer Livestream-Aufführung aus dem südafrikanischen Kapstadt eröffnen. In Englisch, Afrikaans und Xhosa mit deutschen Untertiteln und teilweise von Puppen gespielt. Für jeden Programmdirektor dürfte dies wahrscheinlich das am schlimmsten anzunehmende Szenario sein. Doch es war der erdrückenden Geschichte von Literaturnobelpreisträger J. M. Coetzee geschuldet, den feinsinnigen Schau- und Puppenspielern der Handspring Puppet Company wie natürlich auch der bedenkenlosen Hingabe der Mitwirkenden, dass sich alles zu einem Theatererlebnis wendete.

„Leben und Zeit des Michael K.“ ist die Geschichte eines jungen Mannes aus Südafrika, der mit sogenannter Hasenscharte geboren wird, der Außenseiter bleibt, der sich in Kapstadt mit Gärtnerjobs über Wasser hält und sich mit seiner sterbenskranken Mutter zu einer Odyssee durchs Bürgerkriegs-­malträtierte Land aufmacht: zurück zu jener Farm, auf der die Mutter aufwuchs, auf der es immer genug zu essen gab unter einem stets strahlend blauen Himmel. Die verklärte Erinnerung wird zum Paradies. Michael packt die Mutter auf einen selbstgebastelten Handkarren und zieht los, nicht weit, eben bis zur ersten Polizeikontrolle. Alles scheitert, und als die Mutter stirbt, versucht er allein sein Glück zu suchen in der Ferne seiner Herkunft.

Er wird es nicht finden. Manchmal ein bisschen Erfüllung, wenn er auf einer verlassenen Farm etwas Obst und Gemüse anbaut. Michael K. muss vor Soldaten fliehen, wird Eremit, wird später aufgegriffen und in ein Arbeitslager gebracht, und flieht erneut. Diesem Leben ist keine Würde, kein Frieden, keine Liebe vergönnt. Doch seine Sehnsucht nach Geborgenheit und seine Verzweiflung werden zur ohrenbetäubend stummen Anklage. Seine tiefe Bindung zur Mutter wird nicht erwidert, er tötet eine Ziegenmutter im archaischen Schlamm, sorgt sich um eine junge Mutter im Lager, deren Kind verhungert. Kein Glück, nirgends.

Das Leid dieser Welt tragen im vielköpfigen Ensemble allein die Puppen: Michael K. und seine Mutter wie auch alle Tiere. Sie sind die Geschundenen. Mit ihnen wird im wahrsten Sinne nur gespielt. Drei Puppenspieler sind jeweils nötig, um mit den Figuren gehen zu können, um sie schlafen zu lassen, um sie aus der Verzweiflung immer wieder aufzurichten. Doch wie die Spieler mitleiden, sich an die Puppe schmiegen und mit ihr schließlich zu verwachsen scheinen, geschieht mit einer solchen Intensität und Innigkeit, die alles vergessen lässt: die große Leinwand und die mehr 9500 Kilometer zählende Distanz, selbst das Theater.

 Alles ist in Bewegung, miteinander und zueinander, die Puppen mit den Puppenspielern und die Puppenspieler mit den Schauspielern. Wir sind Zeugen einer großen Choreografie des Lebens und des Leidens am Leben. „Die Wahrheit ist vielleicht, dass es genügt, außerhalb der Lager zu sein, außerhalb aller Lager zugleich“, heißt es im Roman. Am Ende will Michael K. dann noch einmal zur alten Farm seiner Herkunft aufbrechen, nun mit einem alten Mann. Diesmal ist aber alles nur Wunsch, ein Traum vielleicht, in dem er sich vorstellt, in den Schacht der zerstörten Pumpe einen gebogenen Löffel hinabzulassen und darin ein bisschen Wasser heraufzuziehen. So kann man leben, sagt Michael K. in aller Kargheit.

 Das ist kein Lehrstück. Es ist poetische Kraft, die uns so hautnah mit purem Überlebenskampf konfrontiert und die dem Festivalnamen eindringlich alle Ehre macht. Auch und gerade in Zeiten der Pandemie, in denen die Verteilung von Impfstoffen einmal mehr zum Spiegel einer gedankenlosen Ungerechtigkeit wird.

 RP_4C_GRAF-4C+Logo-Theater-der-Welt_FEU.pdf

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Foto: grafik

Und wir? Applaudieren und gehen in die Sommernacht hinaus. Nachdenklicher. Berührter. Alles andere wäre ein Hohn auf das Gesehene und Erlebte. Dass wir mit dem Festival nicht nur das „Theater der Welt“ erleben dürfen, sondern auch die so verschiedenen Sichtweisen aus unsere Welt, darf man hoffen. Dass es gleich am Eröffnungsabend gelang, ist ein Glücksfall.

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