Nach „Terror“ neues Stück des Erfolgsautors von Schirach „Gott“ in Düsseldorf

Düsseldorf · Ferdinand von Schirachs neues Stück über Sterbehilfe wurde im Schauspielhaus uraufgeführt.

 Thomas Wittmann in der Düsseldorfer Schirach-Produktion.

Thomas Wittmann in der Düsseldorfer Schirach-Produktion.

Foto: Sandra Then

Auf einem Gazevorhang vor der Bühne erscheint riesig der Kopf eines alten Mannes. Es ist Wolfgang Reinbacher, das langjährige, stilbildende Mitglied des Düsseldorfer Schauspielhauses, diesmal coronabedingt nur als Projektion zugegen, dennoch ganz gegenwärtig. In der Uraufführung von Ferdinand von Schirachs Stück „Gott“ im Kleinen Haus spielt er Herrn Gärtner, den Mann, dessen Sterbewunsch die Diskussion des zweistündigen Abends in Gang setzt. Am Ende darf, wie in Schirachs Bestseller-Stück „Terror“ von 2015, das Publikum abstimmen. Damals ging es um den Abschuss eines Passagierflugzeugs, das ein Terrorist auf die Allianz-Arena in München lenkt, diesmal lautet die Frage: Wenn Sie Arzt wären, würden Sie einem Sterbewilligen ein tödliches Medikament verabreichen?

Bedenkt man, dass derlei Themen zwischen Moral und Justiz nicht unbedingt feuriges Theater garantieren, hat Regisseur Robert Gerloff mit seinem Team das Bestmögliche herausgeholt. Nicht nur der Einsatz der transparenten Videoleinwand mit Bild- und Tonschnipseln in und zwischen den Szenen bringt Bewegung in den Abend. Auch die Besetzung trägt mit gegensätzlichen Temperamenten dazu bei, dass die Zuschauer dem Vortrag der Argumente einigermaßen gebannt folgen. Parallel bot übrigens Oliver Reese eine Uraufführung des Stücks im Berliner Ensemble, weitere Theater werden folgen.

Die Sitzung des Deutschen Ethikrats. die da vor dem Düsseldorfer Theaterpublikum simuliert wird, wirkt als Szenario aus Tischen, Stühlen und Befragungen trotz aller Belebung etwas klinisch. Der Fall, der dort verhandelt wird, ist dieser: Herr Gärtner, 78 Jahre alt und kerngesund, möchte sterben, weil er in seinem Leben ohne seine vor zwei Jahren an einem Hirntumor gestorbene Ehefrau keinen Sinn mehr sieht. Nichts und niemand kann ihn von diesem Wunsch abhalten, denn das lange Leiden seiner Frau will er sich selbst und der Menschheit ersparen.

Mittel der Wahl wäre eine tödliche Dosis Natrium-Pentobarbital, ein schmerzloser, unkomplizierter Weg in den Tod. Seit das Bundesverfassungsgericht am 26. Februar 2020 das Verbot „gewerbsmäßiger Beihilfe“ zur Selbsttötung aufhob, steht dem auch rechtlich nichts mehr im Weg, wenn auch im Zweifelsfall ein Sachverständigenrat tagen muss. Doch was sagt die Moral?

In schlichter Reihung nehmen die einzelnen Positionen Gestalt an. Da ist zunächst Dr. Brandt. Florian Lange spielt Herrn Gärtners Augenarzt und Vertrauten. Der spricht sich bedächtig für Hilfe bei der Selbsttötung aus, weil viele allein unternommene Suizidversuche fehlschlagen und den Betroffenen dadurch womöglich lebenslanges Leid aufbürden. Später allerdings wird er sagen: „Ein Suizidversuch ist oft ein Ruf nach Hilfe“, er wird sich je nachdem für psychologische Behandlung oder den Weg der Palliativmedizin einsetzen.

Friederike Wagner befragt als Dr. Keller, Mitglied des Ethikrats, Hanna Werth als rechtssachverständige Professorin Litten danach, was ein assistierender Arzt rechtlich darf und was ihm untersagt ist. Rasch spielt sich Cathleen Baumann als Herrn Gärtners forsche Rechtsanwältin in den Vordergrund. Sie belehrt das Publikum, dass die Verankerung Gottes in der Präambel des Grundgesetzes lediglich Demut angesichts der zurückliegenden, braunen Jahre bedeute und nicht das Christentum als Staatsreligion festlegen wolle.

Die Stimmung tendiert zu einem verantwortungsvollen Umgang mit dem letzten Mittel Selbsttötung, bis Thomas Wittmann als Bischof Thiel in schwarzem Ornat die Bühne betritt. „Ich glaube, es sollte weiterhin verboten bleiben, einen Menschen zu töten“, sagt er. Er warnt davor, zwischen würdigem und unwürdigem Leben zu unterscheiden und womöglich kranken alten Menschen, die „den anderen nicht zur Last fallen wollen“, eine Selbsttötung nahezulegen.

„Diese Menschen brauchen stattdessen Trost und Zuwendung“, fügt er hinzu. Zugleich schöpft der Geistliche tief aus dem Christentum: „Leben ist Leiden.“ Und: „Das Leiden der Christen ist Reinigung. Das Kreuz zu tragen ist der wirkliche Sinn des Lebens.“ Mit Thomas von Aquin beharrt er darauf, Gott habe das Leben gegeben, und nur er dürfe es nehmen.

Damit sind die Positionen befestigt. Statt zur Abstimmung zu kommen, ruft Ferdinand von Schirach allerdings zu etwas ermüdenden, wiederholenden Schlussstatements auf. Sein Prinzip ist es, Themen so glasklar zu vermitteln, dass jeder mitkommt. Am Ende sprechen sich, wenig überraschend, 50 Zuschauer mittels grüner Karte für Sterbehilfe aus, 17 mit einer roten Karte dagegen. Auch in Berlin stimmen mehr als die Hälfte dafür.

Der Applaus des Düsseldorfer Publikums klang im coronabedingt schwach besetzten Saals nur gedimmt. Sicherlich wird der eine oder andere auf dem Nachhauseweg überlegt haben, ob er oder sie richtig abgestimmt hat. Denn die Fälle, um die es im Leben geht, sind erfahrungsgemäß so individuell, dass man ihnen mit Rot und Grün nicht beikommt. Da gibt es zum Beispiel Patientenverfügungen, in denen der Fall, der eintrat, nicht vorweggenommen ist, sodass Angehörige, Ärzte und, sofern noch ansprechbar, der oder die Betroffene miteinander ins Gespräch kommen müssen. Und mancher Geistliche wird Altes und Neues Testament sicherlich weniger strikt auslegen als der Bischof im Stück. Schließlich predigt das Christentum nicht nur die Annahme von Leid, sondern mehr noch Barmherzigkeit.

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