Kuratorin der Kunstsammlung NRW „Schmalenbach war ein Despot“

Interview | Düsseldorf · Die Kuratorin und Sammlungsleiterin blickt zurück auf die vier Direktoren der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, mit denen sie zusammengearbeitet hat. So sieht ihr Fazit aus.

 Anette Kruszynski verlässt die Kunstsammlung NRW.

Anette Kruszynski verlässt die Kunstsammlung NRW.

Foto: ANDREAS ENDERMANN/Kunstsammlung

Niemand kennt die Kunstsammlung besser als Anette Kruszynski, die Kuratorin, Sammlungsleiterin und stellvertretende Direktorin. Sie kam 1986 an die neu eröffnete Landesgalerie am Grabbeplatz und hat alle vier Chefs begleitet. Jetzt ging sie nach 36 ereignisreichen Jahren in den Ruhestand. Ein Gespräch über die Geschichten des Hauses.

Frau Kruszynski, Sie sind die letzte Abgesandte der Schmalenbach-Ära. In Ihre Anfänge fielen Ausstellungen wie Amedeo Modigliani und die Afrika-Ausstellung der Sammlung Barbier Mueller. Was würde man heute anders machen?

Kruszynski Eine Provenienzforschung gab es nicht. Niemand fragte damals, woher die Dinge kamen.

Schmalenbach steckte bei der Gründung des Instituts das ganze Geld in die Kunst. Heute wird erst einmal eine Hundertschaft von Mitarbeitern beschäftigt und bezahlt. Wie war das damals?

Kruszynski Mehr Personal war anfangs nicht erforderlich. Bei der Gründung gab es eine Handvoll Mitarbeiter. Mit dem Umzug an den Grabbeplatz waren wir kaum mehr als 25 Leute.

Schmalenbach verzichtete auf viel Personal, weil er alles machte und alles konnte. Er konnte brillant reden und schreiben. Er war auch seine eigene Presseabteilung und diktierte Punkt und Komma. War er schwierig?

Kruszynski Es gab keinerlei Diskussion. Er war ein Despot. Ich habe ihn sehr intensiv erlebt. Alles war sehr lehrreich und interessant. Aber sein Verhalten war nicht auf die heutige Zeit übertragbar. Er war schon damals aus der Zeit gefallen. Er hat absolut dirigiert, er hat diktiert. Damit musste man klarkommen oder weggehen. Aber die Sammlung, die er schuf, war absolut einzigartig.

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Foto: Olaf Oidtmann

1990 kam Schmalenbachs Nachfolger Armin Zweite. War er anders?

Kruszynski Er war gleichfalls ein sehr direktorialer Mensch. Auch er war sich seiner Macht sehr bewusst. Aber er hatte die 1968er Zeit erlebt und suchte daher auch den Diskurs. Er erschloss nicht nur neue Bereiche wie Bildhauerei und Installation, sondern machte Veranstaltungen, Diskussionsreihen und Vorträge, die es vorher nicht gegeben hatte. Was er tat, war von einem hohen Anspruch geprägt.

Bemerkenswert waren seine Vorworte für die Kataloge. Das waren keine bloßen Einleitungen, sondern fundierte Analysen mit 50 bis 60 Seiten. Was sagten die Kollegen?

Kruszynski Er las die Texte der Kollegen wohlwollend und interessiert. Doch dann schrieb er sein Vorwort, wie er es richtig fand. Das machte er mit jeder Ausstellung. Er war wahnsinnig belesen, hat sehr genau überlegt, hielt sich jedoch nicht an die Vorgaben für den Druck. Er akzeptierte ein Vorwort mit 5000 Zeichen, gab es einen Tag zu spät ab, mit 50.000 Zeichen und der Anmerkung, nichts zu kürzen. Das brachte die Kollegen ein bisschen ins Schwitzen.

2004 wurden Sie Sammlungsleiterin. Sie durften ziemlich locker ausleihen

Kruszynski Schmalenbach gab 1986 zur Eröffnung des Hauses am Grabbeplatz einen absoluten Stopp von Ausleihen aus. Er wollte seine Sammlung zeigen. Das ließ sich nicht dauerhaft durchführen, weil man ja auch selbst Ausstellungen machte und Leihgaben brauchte. Wir werden auch heute noch unglaublich viel als Leihgeber für die klassische Moderne angefragt. Ikonen wie „Die Nacht" von Max Beckmann, „Die sitzenden Akte" von Picasso oder Kandinskys „Komposition 4“ würden wir nie ausleihen. Aber es gibt auch Projekte, die man gern unterstützen möchte. Das erfordert eine intensive Diskussion.

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Foto: Ute Liesenfeld

Die Konsequenz der vielen Ausleihen ist, dass vom Kern der Sammlung sehr wenig zu sehen ist.

Kruszynski Jeder Direktor zeigt das, was er am wichtigsten findet. Schmalenbach wollte alles zeigen. Armin Zweite räumte zuallererst die gesamte Sammlung aus und machte seine Beuys-Ausstellung. Unter seiner Leitung kamen dreidimensionale Arbeiten hinzu. Mit K21 wurde das Raumerlebnis ein ganz großer Akzent.

Zweite ging 2007, weil der Erweiterungsbau verschoben wurde. 2009 kam Marion Ackermann und eröffnete 2010 das sanierte K20 mit dem Erweiterungsbau. Die charming Lady wusste genau, was sie wollte. Wo lag ihr Schwerpunkt?

Kruszynski Sie legte einen starken Akzent auf die Vermittlung und erweiterte die pädagogische Abteilung um viele Mitarbeiter.

Wie führt Susanne Gaensheimer das Haus?

Kruszynski Sie bezieht sehr viel mehr die Kollegen mit ein. Und sie möchte das Museum mit den bestehenden Schätzen in unsere Zeit führen, interkulturell, gendermäßig und global.

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Foto: Christoph Schroeter

Sind das nicht eher politische als künstlerische Entscheidungen?

Kruszynski Kunst ist immer politisch. Auch die Sammlung Schmalenbach besteht nicht nur aus schönen Bildern. Modigliani war ein jüdischer Künstler in Paris, der den jüdischen Maler und Dichter Max Jacob feierte. Auch die gegenwärtige Kunst ist politisch, denken Sie nur an die Documenta.

Worin liegen die Qualitäten der Sammlung?

Kruszynski Sie ist einzigartig, weil sie auf das Einzelwerk Wert legt. Nehmen Sie das „Deutschlandgerät" von Mucha oder die Arbeit von Broodthaers. Die Kunstsammlung ist eine grandiose Institution.

Keine dunklen Ecken?

Kruszynski Trotz intensiver Forschung gibt es nach wie vor ungeklärte Provenienzen. Aber bisher musste noch kein Werk zurückgegeben werden.

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