Düsseldorf Dostojewskis "Spieler" wird zu einer Polit-Show

Düsseldorf · Tagespolitik mitten im Text kommt nicht gut an. Die Inszenierung im Düsseldorfer Schauspielhaus von Martin Laberenz ist deutlich zu lang.

"Geld ist alles!" Das brüllt Hauslehrer Alexej rasend in den Saal. "Der Russe ist nicht fähig, Kapital zu bilden, er muss es verschleudern. Ich bin Russe. Das bedeutet: Raus mit dem Geld! Geld ist ein Gott. Wer Geld hat, ist kein Sklave mehr."

Dass Geld die Welt regiert, ist keine neue Erkenntnis. Auch nicht, dass die Gier nach Geld das Miteinander erschwert. In Fjodor Dostojewskis Roman "Der Spieler", der am Wochenende im Düsseldorfer Schauspielhaus in einer dreieinhalbstündigen Bühnenfassung Premiere hatte, sind Alexejs Worte Leitmotiv. Alles dreht sich ums Geld. Kaum Wunder, dass die Schauspieler – oder war es Regisseur Martin Laberenz' Idee? – der Versuchung nicht widerstehen, die akute Finanzschieflage des Hauses zu thematisieren. Wegen eines Fehlbetrags von 5,4 Millionen erhebt das Land NRW als einer der beiden Gesellschafter neben der Stadt schwere Vorwürfe gegen den Intendanten. Manfred Weber habe unkorrekt abgerechnet, hieß es bei der jüngsten Aufsichtsratssitzung. Kulturministerin Ute Schäfer (SPD) war Weber schwer angegangen.

Mitten in der Szene, vor der Pause, geht der General in Gestalt von Schauspieler Michael Abendroth einfach aus dem "Spieler"-Stoff heraus. Er wird frei in seiner Rede und sagt: "Sie müssen uns retten! Was sollen wir machen? Dass ich hier das Haus leer spiele, geschieht nicht zum ersten Mal." Er bringt die 5,4 Millionen zur Sprache und dass man ruiniert werden könnte von einer "Hexe". Längst ist aus dem ernsten Stoff eine Art Lustspiel geworden, durch diese Düsseldorfer Einlage wird eine Spielshow draus. Die Produktion droht zu kippen.

Wer nicht Insider ist, versteht das alles nicht. Die Irritationen sind groß. Erst spät am Abend, gegen 22.45 Uhr, beginnt "Der Spieler" noch einmal richtig. Dann ist das Publikum zwar schon recht ermattet – viele sind in der Pause gegangen. Doch die Inszenierung wird eindringlich, grundsätzlich, erzählerisch, gut. Jetzt dringt Dostojewski durch, der nicht nur seine Zeit, sondern auch sein eigenes Problem mit der Spielsucht wie auch mit der Liebe in seinen wundervollen Roman aus dem Jahr 1866 hineinschmiedete.

Sinnbildlich und dominierend in dem Bühnenbild von Volker Hintermeier ist das gigantische Rad aufgebaut – ein Meisterwerk der Bühnentechnik, an dem sich das Personal abarbeitet. Sei es, dass einer ergebnislos schwadronierend rundläuft wie im Hamsterrad oder andere behände nach oben kommen wollen wie Sportler in einem Rhönrad. Die kreisende, mitunter kreischende Drehbewegung des Riesenrads ist der Scheibe des Roulettespiels nachempfunden. Geschickt sind die Szenen dazu in die Zwischen- und Nebenräume hineingebaut. All diese Nebenschauplätze, die schiefen Ebenen und dunklen Winkel, kommen dieser russischen Gesellschaft gelegen, die zum Roulette in die deutsche Sommerfrische gekommen ist, ohne freilich über die entsprechenden Mittel zu verfügen.

Das Beziehungsgeflecht der Urlauber ist vielfältig. Das Tragische: Der, den man liebt, liebt meist nicht zurück. Auch die Liebe, so scheint es, hängt letztlich von den finanziellen Mitteln ab.

In der Anlage dieser Inszenierung ist das Erzählen offenbar nicht das Wichtige, sondern Regisseur Laberenz legt das Stück den Schauspielern vor wie ein Hundetrainer dem Tier den Köder. Er lässt ihnen Freiheiten und Raum für Improvisationen. Das kann sehr zur Freude des Publikums geschehen, wenn etwa Edgar Eckert (Alexej) den besessenen, brodelnden, bestechenden und vor Erregung fast berstenden, zitternden und zappelnden Russen gibt. Man kommt ihm nah und ist ergriffen von den Amplituden seines Seelenlebens.

Anders bei Karin Pfammatter, deren viel zu langes Solo, das sie hoch oben im dritten Bogen des Rades aufführt, befremdlich erscheint. Sie gibt die Erbtante Antonida, von der man sich einiges erhofft. Doch auch sie wird von der Spielsucht ergriffen. Sie hört bald gar nicht mehr auf, ihr Geld zu verjubeln. Am Ende setzt sie all ihre Kleider ein, brüllt "Ich will gewinnen!" und rollt in einer Art orgiastischem Anfall splitternackt auf dem Boden hin und her. Weniger wäre sicher mehr gewesen.

Diese Inszenierung vom "Spieler" hat dennoch ihre Vorzüge – besonders die großartigen Schauspieler; neben den genannten Anna Blomeier (Polina), Sebastian Grünewald (Mister Astley), Florian Jahr (Marquis de Grieus) und als Entdeckung neben Edgar Eckert die junge Sarah Hostettler, die am Ende auftaut und unvermutete Seelenzustände aus ihrem Innersten zu Tage befördert.

Die Musik von Friederike Bernhardt untermalt das bizarre Geschehen; süffig: der Auftritt der Gerresheimer Blaskapelle. Doch sollte man tunlichst Striche ansetzen, damit die erste Hälfte eine Kontur erhält und die Pause nicht zur Flucht genutzt wird. Am Ende bedauert man den Abend nicht: Laberenz hat die große Bühne zu seinem russischen Seelenspektakel ausgereizt.

(RP)
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