"Die Zeit der mutigen Filme ist vorbei"

Interview Regisseur Peter Kern über seinen neuen Film "Mörderschwestern"

Düsseldorf Sie wurden "die Todesengel" genannt, vier Krankenschwestern aus dem österreichischen Lainz, die in den 1980er Jahren mehrere ihrer Patienten töteten. Diese Fälle nimmt der Schauspieler und Regisseur Peter Kern zum Anlass, in seinem Film "Mörderschwestern" mit bösem Witz den Voyeurismus und die Skandalversessenheit des Publikums anzuprangern. Kürzlich wurde der zur-zeit in der Region laufende Film mit dem Hofer Filmpreis ausgezeichnet. Ein Gespräch über Publikumsbeschimpfung und die Einsamkeit kritischer Filmemacher.

Warum haben diese Krankenschwestern aus Ihrer Heimat Sie interessiert?

Kern Es ging mir nicht darum, Krankenschwestern anzugreifen, das ist einer der schwersten, wichtigsten, aber auch extremsten Berufe überhaupt. Es ging mir um die Frage, wie wir mit alten Menschen umgehen und warum das Publikum so versessen auf Skandale ist. Wir suchen doch ständig den Thriller, das Verbrechen, wenn wir die Fernbedienung drücken. Ein Junge hat bis zu seinem 16. Lebensjahr im Schnitt 40 000 Morde im Fernsehen gesehen. Was geht in so einem Kopf vor, wenn der Junge älter wird? Der wird gern zum Militär gehen wollen, der spielt längst perverse Computerspiele. wir können nicht mehr differenzieren zwischen den großen Katastrophen des Lebens, den Toten im Irak, in Afghanistan und den inszenierten Toten in der Abendunterhaltung, die uns nur ablenken sollen. Denn erst, wenn man einer Gesellschaft richtig Angst einjagt, hat man mit ihr leichtes Spiel. Angst machen ist ein Zeichen der Macht.

Wovon will man uns denn ablenken?

Kern Von den eigentlichen Toten, etwa von den Afrikanern, die wir im Mittelmeer ertrinken lassen, weil wir in Spanien Zäune bauen, damit sie nur ja nicht nach Europa gelangen. Das sind legitimierte Morde, von uns subventionierte Morde, weil es unangenehm wäre, wenn diese Menschen in unser Leben eindringen würden. Es hat sich eine Gesellschaft, eine Lebensweise herauskristallisiert, von der ich ehrlich sagen muss: Ich mag dieses Leben nicht. Ich habe mich so sehr entfremdet von dem, was ich einmal gewollt habe, dass es mich nicht traurig machen würde, wenn ich dieses Leben verlassen müsste.

Das ist ein harter Satz.

Kern Ja, alle meine Weggefährten sind tot: Schlingensief, Fassbinder, Schroeter – Menschen, denen es wirklich um Auseinandersetzung ging, die wirklich Kunst gemacht haben. Ich war immer für die absolute Freiheit des Denkens und des Fühlens. Aber Kunst ist heute nicht mehr frei.

Sie nehmen sich die Freiheit, Ihr Publikum in Ihrem aktuellen Film ständig als "Beutelratten" ansprechen zu lassen.

Kern Ja, aber eigentlich ist das ein komischer Begriff, ein Zitat von Dame Edna, diesem wunderbaren australischen Schauspieler, der in Frauenkleidern um die Welt gereist ist und seine Zuschauer immer "Beutelratten" genannt hat. Provokant ist, wenn die Darstellerin im Film sagt, der Faschist im Publikum solle sich melden, und dann meldet sich niemand, weil Faschisten immer im Stillen denken und operieren. Darum gedeihen ja die rechten Parteien. Was in Deutschland jetzt so scheinbar aufgedeckt wird, ist doch in ganz Europa im Gange, da habe ich schon vor drei Jahren einen Film drüber gemacht: "Blutsfreundschaft", aber der ist ignoriert worden.

Woran lag das?

Kern Tja, in dem Film spielt Helmut Berger mit, er ist bei der Berlinale gelaufen, aber die Kinokette Cinestar hat gesagt: Dieser Film ist so unterirdisch, der wird in keinem unserer Kinos gezeigt. Das ist das eigentliche Machtverhältnis: Die Kunst wird erdrückt, gewürgt, verhindert von Kinobesitzern, Fördergremien, unkündbaren Fernsehredakteuren. Deren Mittelmaß überträgt sich auf das deutsche Kino. Die Zeit der wirklich mutigen Filme ist vorbei.

(RP)
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