Warum Putin mit Unterstützung seiner Kirche Krieg führt Mit dem Segen des Patriarchen
Auch nach dem Überfall auf die Ukraine lässt das Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche keine Distanz zum russischen Präsidenten erkennen. Tatsächlich teilen beide das Gefühl, dem Westen moralisch überlegen zu sein.
Im Anschluss an die Vereidigung Wladimir Putins als Präsident Russlands fand am 7. Mai 2018 in der Verkündigungskathedrale des Kreml in Moskau ein feierlicher Gottesdienst statt. Der russisch-orthodoxe Patriarch Kyrill I. segnete den Staatschef nach dessen umstrittener Wiederwahl, er betete dafür, dass Putin mit „Kraft und Weisheit“ das Land regieren möge, für Frieden sorge und Feinde abwehre. Das Kirchenoberhaupt hob die spirituelle Tradition hervor, der sich der Kremlherrscher verpflichtet fühle und mit der sich die „geistigen Qualitäten unseres Volkes“ fördern ließen. Diese seien der „wahre Grund für Russlands Unbesiegbarkeit“, so Kyrill I.
Knapp vier Jahre später unterstützt nach den Worten von Bundesaußenministerin Annalena Baerbock kein Land mehr Putin, „was nicht selbst eine Diktatur ist“. Nur auf Despoten kann sich der russische Kriegstreiber gegenwärtig noch verlassen – auf Despoten und auf die russisch-orthodoxe Kirchenführung in Moskau.
Zwar wünscht auch Kyrill I. Frieden herbei, doch hat er bislang das Wort „Krieg“ peinlich vermieden. Stattdessen bezeichnete der 75-Jährige die Gegner der russischen Armee in der Ukraine schon unmittelbar nach dem Überfall als „Kräfte des Bösen“ und warnte die Gläubigen überdies wolkig vor „dunklen Kräften von außen“, die sich über Russland „lustig machen“ könnten.
Am vergangenen Sonntag nun legte der Kirchenfürst mit einem bizarren Statement nach: Ungeachtet der anhaltenden Kritik auch seitens der deutschen Bischöfe an dessen Versuchen einer religiösen Rechtfertigung des Krieges brachte Kyrill den russischen Einmarsch ins Nachbarland indirekt mit dem Schutz der Gläubigen vor „Gay-Paraden“ in Verbindung, die die Menschen in der Ostukraine seit Jahren ertragen müssten. Bei offen ausgelebter Homosexualität aber handle es sich um einen „Verstoß gegen die Gesetze Gottes“, polterte der Patriarch.
Wie verhärtet die Fronten sind, zeigen Äußerungen des Oberhaupts der seit 2018 eigenständigen Orthodoxen Kirche der Ukraine (OKU), das derzeit um sein Leben fürchtet: Ausländische Geheimdienste hätten ihn darüber informiert, dass er „Ziel Nummer fünf auf einer Liste der Russen mit zu tötenden Personen“ sei, so Metropolit Epiphanius. Die OKU gehört zum Patriarchat Konstantinopel und wird vom Moskauer Patriarchat nicht anerkannt.
Wie unter einem Brennglas wird in diesen traurigen Tagen in Russland der Schulterschluss von weltlicher und kirchlicher Macht sichtbar als Teil eines Patriotismus, der auf traditionelle Werte und militärische Stärke setzt. Putin und Kyrill teilen das Gefühl, einem moralisch verkommenen Westen überlegen zu sein. Die Sakralisierung seiner Politik kommt dem Herrschaftsverständnis Putins durchaus entgegen; seit Jahren sucht der Autokrat die Nähe zur Geistlichkeit, verbrämt seinen Absolutheitsanspruch, sein großrussisches Sendungsbewusstsein, die Dämonisierung des Westens gewissermaßen mit heiligen Zielen, die keine Gegnerschaft dulden und notfalls den Einsatz von Gewalt gegen politische Feinde rechtfertigen sollen. Bei der gewaltsamen Annexion der Krim 2014 etwa hatten es sich russisch-orthodoxe Geistliche nicht nehmen lassen, russische Raketen und die Waffen der Separatisten zu segnen.
„Nach dem Untergang der Sowjetunion, in der die russisch-orthodoxe Kirche begrenzten Spielraum hatte, ist das Verhältnis zwischen der Kirchenspitze und dem Staat wieder sehr eng geworden“, bestätigt Regina Elsner vom Zentrum für Osteuropa- und internationale Studien in Berlin. „Beide Seiten haben ähnliche Interessen: die Einheit aller Russen, die territoriale Ansprüche legitimiert, die Ablehnung einer offenen Gesellschaft und von Menschen nicht heterosexueller Orientierung“, so die studierte Theologin im Gespräch mit unserer Redaktion. Das lange Schweigen von Kyrill I. zum Krieg Putins sei inzwischen einer offenen Unterstützung gewichen, begründet mit genau diesem Kampf um jene Werte.
Obendrein spielt die Ukraine in dem religiös aufgeladenen Konflikt eine historisch besondere Rolle: „Im Jahr 988 entschied sich der Großfürst Wladimir von Kiew für die Annahme des Christentums in der byzantinischen Form. Er und sein Volk, die Rus, ließen sich taufen. Das war die Keimzelle des späteren russischen Reiches, das sich in diesem spirituellen Akt zugleich der byzantinischen Kultur öffnete“, erläutert Regina Elsner.
Erst unter Putins Präsidentschaft aber konnte die orthodoxe Kirche in jüngster Vergangenheit in den Alltag der Russen zurückkehren. Sie verdankt ihm unter anderem die Rückgabe fast all ihrer Sakralbauten, die seinerzeit von Lenin und Stalin enteignet worden waren. Der Mainzer Ostkirchenkundler Mihai Grigore sieht in der Russischen Orthodoxen Kirche heute durchaus eine Kraft, die den Verlauf des Krieges beeinflussen könnte. „Die Orthodoxie ist für Putin wichtig. Der russische Patriarch Kyrill hätte schon Einfluss, wenn er sich stark positionieren würde“, betonte der Wissenschaftler unlängst gegenüber dem Evangelischen Pressedienst: „Er will aber nicht.“