Kultur kämpft um Kundschaft Wenn Reisebücher plötzlich boomen

Meinung | Düsseldorf · Theater und Konzerthäuser mühen sich, nach der Pandemie und mitten im russischen Angriffskrieg auf die Ukraine um Besucher. Das gelingt nicht immer. Der einzige Lichtblick – auch für viele Menschen: Bücher übers Reisen.

 Die Kultur kämpft um Kundschaft; aber der Absatz von Reiseliteratur floriert.

Die Kultur kämpft um Kundschaft; aber der Absatz von Reiseliteratur floriert.

Foto: Anne Orthen (orth)/Anne Orthen (ort)

Manches scheinen die Menschen in den pandemischen Zeiten der Abstandswahrung und notgedrungener exzessiver Häuslichkeit ein bisschen verlernt oder vergessen zu haben. Besuche von Theateraufführungen oder klassischen Konzerten zum Beispiel. Noch gibt es zwar keine verlässlichen Zahlen über mangelnde Auslastung, doch die Klagen landauf, landab mehren sich. Dass auch an renommierten Häusern bisweilen aufwändige Premieren nicht mehr ausverkauft sind, ist mittlerweile keine Seltenheit mehr. Carsten Brosda ist Präsident des Deutschen Bühnenvereins und hat dies nun vorsichtshalber verlauten lassen: „Jetzt geht es darum, das Publikum davon zu überzeugen, in die Häuser und in die Konzerte zurückzukehren“, sagt er. Und als Hamburger Kultursenator weiß er natürlich, worüber er menetekelt. Diese Aufgabe sei keineswegs leichter geworden „durch die neue Gesamtlage in unserer Gesellschaft mit dem russischen Krieg gegen die Ukraine“. Kurzum: Die allermeisten Theater seien noch lange nicht wieder beim Vorkrisenniveau angekommen. Es ist, als ob den Menschen nach der Pandemie und mitten im russischen Angriffskrieg auf die Ukraine die Lust auf Kultur vergangen sei.

Das ist nachvollziehbar. Doch die eigentliche Gefahr liegt eben auch darin, dass der verlernte Kunst-und Kulturgenuss so schnell nicht wieder erlernt wird. Oder später nur noch in viel geringerem Maße. Theater mussten wegen der Coronakrise bislang noch nicht dicht machen. Da die Kosten in aller Regel aber von den Kommunen getragen werden, dürften künftig wachsende Defizite auf lange Sicht den einen oder anderen Kommunalpolitiker auf ökonomisch vielleicht begründete, kulturell aber ungute Gedanken bringen.

In der Literatur ist es ähnlich, aber nur ein bisschen. Zu Beginn der Pandemie erlebte der Buchhandel ja noch die enorme Solidarität mit seiner lesenden Kundschaft. Ratgeber waren gefragt, aber noch mehr Kinder- und Jugendbücher, mit denen der Nachwuchs daheim bei Laune gehalten werden konnte. Nun – da etwas normalere Zeiten eingekehrt sind – ist das Bedürfnis nach Lesestoff gesunken. Umsatz- und Absatzrückgänge von über sechs beziehungsweise über fünf Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum vermeldet der Börsenverein des Deutschen Buchhandels. Leichter Rückgang wird bei den Kinder- und Jugendbüchern verzeichnet, ein stärkerer bei den Ratgebern und ein noch deutlicherer bei naturwissenschaftlichen Werken. Allein die Reiseliteratur florierte – mit einem Zuwachs von mehr als 55 Prozent! Der einzige Lichtblick für den Buchhandel und ein Lichtblick offenbar für viele Menschen, in vielerlei Hinsicht.

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