Stefan Kraus "Die Museen sind in der Falle"

Der Leiter des Kolumba-Museums hat für den Kunstbetrieb nichts übrig. Events, etwa Museumsnächte, und Sponsoring sieht er skeptisch.

Köln Stefan Kraus leitet mit dem Kolumba des Erzbistums Köln ein Museum, das mit einem Konzept der Stille das Unspektakuläre hochhält. Kraus hat kürzlich eine Schrift ("Formate bestimmen die Inhalte") verfasst, in der er Institutionskritik übt und das Kunstmuseum als Opfer seines eigenen Strebens nach Erfolg sieht. Der Kunstbetrieb müsse transparenter werden, fordert er.

Weist nicht schon das Wort Betrieb in die falsche Richtung?

Kraus Mit dem Wort verbinde ich Produktion, Warenverkehr und Geld. Beim Betrieb geht es um Quantität und Gewinnmaximierung. Das können im Kunstmuseum keine primären Ziele sein. Vielmehr tragen wir die Verantwortung dafür, wechselnde Begriffe für Qualität zu erproben und der Einzigartigkeit von Kunst einen Resonanzraum zu verschaffen.

Museen sind heute oft gigantische Betriebe, die unter Marketingmaximen geführt werden müssen. Wie konnte es so weit kommen?

Kraus Ich denke, dass falsche Konzepte, zuweilen Größenwahn und die Eitelkeit von Künstlern, Kuratoren, Sammlern und Stiftern dazu geführt haben, dass die Institutionen in die Ökonomiefalle geraten sind.

Die Kernaufgaben eines Museums sind Sammeln, Erforschen, Vermitteln - ist das überhaupt noch nachhaltig zu bewerkstelligen?

Kraus Wenn es das nicht wäre, bräuchte es die Museen nicht. Museen sind Kulturspeicher, sie schaffen mit Geschichte Verständnis für die Gegenwart und dienen der Gesellschaft gerade dann, wenn sie mit den Mitteln der Kunst alles in Frage stellen. Wie in vielen anderen Bereichen auch, sind wir mehr denn je aus ökologischer und ethischer Notwendigkeit zur Nachhaltigkeit angehalten. Nachhaltigkeit darf in der Kultur keine Worthülse sein.

Entertainment und Infotainment werden gleichermaßen erwartet. Warum verweigern Sie das in Köln?

Kraus Weil die Auseinandersetzung mit Kunst selbst viel zu aufregend und zu schön ist! Wir zeigen mit Kolumba, dass man mit den Möglichkeiten der Kunst selbst bestens unterhalten kann.

Auch lange Museumsnächte bringen gar nichts, sagen Sie. Warum?

Kraus Der Erfolg solcher Nächte rechnet sich über die Masse und ist programmiert, weil sie die örtlichen Medien als Mitveranstalter dementsprechend hypen. Aber abgesehen davon, dass sich die Konservatoren die Haare raufen, wenn tausende Menschen in einer einzigen Regennacht mit nassen Klamotten durch die Säle laufen, sind sie in höchstem Maße kontraproduktiv.

Warum das?

Kraus Weil die Attraktivität des Museums sich nicht über den Event einer einzigen Nacht verbraucht. Das Museum ist ein ganzjähriger Reflektionsraum, Kontinuität in der optimalen Bereitstellung einer Sammlung ist seine Qualität.

Was vermissen Sie in Deutschland, wenn Sie in Ihrem Büchlein Kulturfeindlichkeit beklagen?

Kraus Ganz allgemein: den Rückhalt. Denn der vermeintliche Erfolg der langen Nächte oder der x-ten Impressionismus-Ausstellung lässt ja nicht darüber hinwegsehen, dass wir Kulturschaffende und allen voran die Künstler immer in der Defensive stehen, wenn es darum geht, notwendige Existenzbedingungen zu vertreten. In den meisten Ateliers herrscht brutale Armut. Gleichzeitig bricht die mediale Unterstützung weg, denn in vielen Redaktionen ist Kunst zu einem "No-Go" geworden, wurden Formate seriöser Kulturberichterstattung - vor allem im Radio und Fernsehen - weichgespült.

Formate bestimmen die Inhalte - dieser Satz steht für zwei Seiten einer Medaille. Wenn es als ein Vorwurf gemeint ist, dann wollen Sie sagen . . .

Kraus . . . dass es genau umgekehrt sein muss: das die Kunst die Formate bestimmen muss, dass wir uns an den Werken orientieren müssen, um zu entscheiden, wie wir sie ausstellen und vermitteln wollen. Wir Kunstvermittler sind die Anwälte der Künstler, die Museen sind die Verlängerung der Ateliers.

Die Verflechtungen der Museen mit dem Kunsthandel seien zum Teil schamlos, schreiben Sie, und nennen manche Museen Undercover-Showräume internationaler Galerien.

Kraus Wenn ein Hauptmerkmal der Kunst ihre Freiheit ist, dann muss der Ort dafür ein unabhängiger sein. Nur dadurch legitimiert sich das Museum als künstlich erstellter Raum. Wenn ich als Museumskurator Sammler berate, deren Besitz ich dann im öffentlichen Raum aufwerte, oder wenn ich für sechsstellige Summen Gutachten verfasse, ist es damit natürlich längst vorbei.

Allzu großem Sponsoring stehen Sie allzu skeptisch gegenüber. Etwa den VIP-Limousinen bei Kunstevents. Was nährt Ihr Misstrauen?

Kraus Dass dieser Aufwand weder dem allgemeinen Verständnis von Kunst noch den Künstlern nutzt und zudem die Existenz von Museen nicht davon abhängig sein kann, ob sich Unternehmen Kultursponsoring leisten können. Kann man wirklich so naiv sein, zu denken, dass Sponsoring keine Auswirkungen auf Inhalte hat?

Amüsiert lese ich von der Klage prominenter Künstler über ihre hohen Kunstmarktpreise. Sie nennen das kokett.

kraus Ich nenne im Text bewusst keine Namen. Man kann mit seinen künstlerischen Strategien den Betrieb nicht gleichzeitig befeuern und darüber lamentieren. Ich habe in den letzten 20 Jahren zu viele Produkte namhafter Künstler auf Messen gesehen, die keinerlei ästhetischen Erkenntnisgewinn verfolgen, sondern allein der Gewinnmaximierung der eigenen Marke dienen.

Was stellen Sie sich anders vor?

Kraus Ich möchte mal eine Idee in den Raum stellen: Warum zeigen sich die Großverdiener des Betriebs nicht solidarisch mit ihren Künstlerkollegen, die - aus welchen Gründen auch immer - weniger erfolgreich blieben, und gründen statt egomaner Privatmuseen eine gut ausgestattete Stiftung zur Absicherung älterer Künstler und Künstlerinnen?

Skizzieren Sie doch kurz ein positives Antimodell, oder ist es mit dem Kolumba-Museum bereits realisiert?

Kraus Von mir werden Sie kein Rezept erhalten. Das ist ja gerade das katastrophale Ergebnis dieser Anmaßungen von Wirtschaftsprüfungsunternehmen, die den Kultureinrichtungen sagen wollen, wie es geht. Kultur funktioniert anders, sie ist kreatives Chaos, in einem guten Sinne unnütz, in ihrer Effizienz nicht messbar. Sie muss von jenen verantwortet werden, die sie mit Leidenschaft vertreten.

(RP)
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