Die Mauer im Kopf

Donald Trump will an der Grenze zu Mexiko eine gigantische Mauer errichten lassen. Das hat nicht nur mit Politik zu tun. In diesen Plänen steckt sehr viel Biografisches.

Es ist die Angst, die ihn umtreibt - nicht die eigene, sondern diejenige, die er in der Gesellschaft zu spüren glaubt. Kein menschliches Gefühl, die Liebe ausgenommen, besitzt größere Macht über unser Denken als die Angst. Mit ihr kann ein Stratege großartig operieren. Er kann sie einsetzen und sich selbst dabei als Überwinder inszenieren. Dies ist eine zentrale Technik des tatendurstigen Mr. Trump. Als sei die zivilisierte Welt nicht einige Schritte weiter; als habe sie, was dieses Thema betrifft, nicht beeindruckende Sprungkraft und Reife entwickelt, plant er allen Ernstes, eine Mauer an der Grenze zu Mexiko zu errichten - und die Mexikaner auch noch dafür bezahlen zu lassen. Keiner soll mehr in die USA einreisen dürfen, der keine gültigen Papiere hat. Trump macht also dicht. Ist er es selbst auch noch?

Tatsächlich leben in den USA ungefähr zwölf Millionen Einwanderer ohne Aufenthaltspapiere; der Großteil stammt aus Mexiko und den anderen Staaten Mittelamerikas. An der Grenze blüht die Kriminalität. In den vergangenen Jahren trafen in den USA Zehntausende Menschen aus Guatemala, Honduras und El Salvador ein, darunter zahlreiche Minderjährige. Falls die mexikanische Regierung nicht einwillige, sagte Trump, behalte er sich eine Korrektur des Handelsabkommens mit dem Nachbarstaat vor.

Zunächst scheint es müßig, über die Wahrscheinlichkeit zu debattieren, dass ein derartiges Monstrum Wirklichkeit wird. 3000 Kilometer Beton in einer Höhe, die Baumeister Donald für "unüberwindlich" erachtet - das würde Abermilliarden US-Dollar kosten und mehrere Amtszeiten dauern. Das Gelände ist teilweise so unwegsam, dass der Bau selbst vor einer Mauer stünde - der Natur. Und dann müsste der Auftragsschub, den das Baugewerbe bekommt, verrechnet werden mit dem Nimbus des Unzeitgemäßen. Mauerbau? Das klingt irgendwie gestrig, archaisch, steinzeitlich. Aber auch nach Gefahr, die von den Gefährdeten ausgeht. Eine solche Mauer hätte jedenfalls etwas Absurdes in der zivilisierten Welt, und das hat nicht nur mit der bautechnischen Dimension zu tun.

Interessant ist, was die Ankündigung eines Mauerbaus über den Angstpolitiker Trump aussagt. Sie cremt die amerikanische Seele an ihren dünnsten und trockensten Stellen. Eine Mauer zu bauen, das ist gewiss ein Akt der Verteidigung, die erhabener wirkt als die individuelle oder staatliche Selbstbewaffnung. Es ist eine Abschreckungsgebärde, wie sie in dieser Monstrosität nur Trump einfallen konnte.

Psychologisch instrumentalisiert Trump bei einem Teil seiner Wähler jedoch ein Muster, das der Psychologe Martin Seligmann "preparedness" nannte: Unser Gehirn ist biologisch darauf vorbereitet, niederschwellige Reize mit einer Angstreaktion zu beantworten. Dazu zählen nicht nur Spinnen, sondern auch bellende Hunde und Gesichter in fremder Hautfarbe. Alles Feinde? Da seine eigenen Landsleute in gewisser Weise ihr Selbstbewusstsein verloren haben, die Rolle der überlegenen Autorität in der Welt zu spielen, kann Trump auf der Klaviatur dieser psychischen Beschädigung spielen. Mit den Planspielen um die Mauer nährt er gleichzeitig die Sehnsucht nach Macht, nach Befriedung, nach Schutz. Wer allein sein will, muss sich nicht mit Störenfrieden herumschlagen. Aber er verliert auch die Welt aus den Augen, wenn die Mauer zu hoch ist.

Wir sollten uns hüten, Trumps Ankündigungs-Rhetorik für hohle Attitüde zu halten. Mit einer Mauer und allen Verlautbarungen, ob sie gebaut wird oder nicht, haben wir Deutschen einschlägige Erfahrungen, und wir mussten im Jahr 1961 lernen, wie schnell ein zu allem entschlossener Staat Betonwände hochzieht. Warum sollte Trump nicht versuchen, sich in Rekordzeit ein bleibendes Zeugnis errichten zu lassen? Und die USA zu Trumps Trutzburg umzuwidmen?

Es wäre dann ein staatspolitisch ähnlich funktionierendes Gebilde wie die (um das Dreifache größere) chinesische Mauer: Auch sie sollte das Kaiserreich vor Eindringlingen schützen, in diesem Fall vor nomadischen Reitervölkern. Mehrere Jahrhunderte baute China an seinem Bollwerk und musste doch immer wieder einsehen, dass gerade ein solches steinernes Trumm vergänglicher ist als gedacht. Große Teile der chinesischen Mauer stehen heute vor der Verwahrlosung; nur wenige Etappen sind als eine Art Potemkinsche Mauer für Touristen hergerichtet; die gewaltigen Treppenstufen haben etwas Drolliges, als ob Riesen auf einem Trimm-dich-Pfad spazieren gehen sollen.

Zum Thema Anfälligkeit: Selbst eine Trump-Mauer, die nicht gepflegt, ausgebessert, erweitert wird, gibt ihre Verletzlichkeit früher zu erkennen, als der auf unverwüstlichen Beton abonnierte Baumeister Trump glaubt. Es würde Mauerspechte geben, Grenzer würden bestochen, der Verteidigungswall würde löchrig werden. Während die deutsch-deutsche Mauer niemanden aus der DDR herauslassen wollte und den Gefängnischarakter eines Staats vollends in Stein meißelte, bezeugen Trumps Mauerpläne eine isolationistische Tendenz: Keiner soll mehr hinein. Trumps Mauer schafft eine räumliche Grenze, die nicht nur respektiert werden soll. Keiner soll sie übersehen können.

Aber es gibt eine weitere Schicht in der Analyse, was diese Mauer überhaupt soll. Sie wäre nichts anderes als der in die Horizontale gekippte Trump-Tower. Hoch hat der Tycoon Trump schon gezeigt, was er mit viel Geld hinklotzen kann, quer noch nicht. Da hat er etwas nachzuholen. Die Breite fehlt ihm im Portfolio. Seine Sehnsucht nach der Mauer ist Ausdruck einer Gigantomanie, die nur einem narzisstischen Charakter entwichen sein kann. Die Mauer ist keine private Statue mehr, als die man etwa den Trump Tower in New York mit seinen 58 Etagen begreifen kann. Die Mauer an der Grenze würde uns den Privatmann zeigen, der staatsmännisch zu Raum und Zeit wird und sich überdimensional ausstreckt.

Nun denn, wird diese Mauer kommen? Trump hat im Wahlkampf vollmundig so viele Taten angekündigt, da kann er jetzt nicht auf windelweiches realpolitisches Normalmaß zurückfallen. Er würde vor sich selbst unglaubwürdig werden. Bislang beherrschte ihn die Gewissheit, dass alles, was er sich in den Kopf setzte, auch Wirklichkeit wurde. Es wäre also klug, mit dem Bau zu rechnen.

Freilich muss man wegen seiner Pläne fast Mitleid mit Trump haben. Ein wenig ähnelt er ja sogar jenem Lancaster Pink, den die britische Rockgruppe Pink Floyd in ihrem Konzeptalbum "The Wall" skizzierte: ein von seiner Biografie gebeutelter Mann, der Mauern um sich errichtet und die Welt neu zu erfinden sucht. Trump hat in seiner Biografie oft Größenwahn demonstriert: Einmal behauptete er mit blenderischem Potenzgehabe, der Trump Tower sei zehn Etagen höher. Und dann behauptete er mal, seine Großeltern seien aus Schweden gekommen; tatsächlich stammten sie aus dem 1225-Einwohner-Städtchen Kallstadt in der Pfalz.

Apropos Miniaturen: Auch der Trump Tower ist mit seinen 202 Metern Höhe längst ein Zwerg im Reigen der Phallussymbole. Das nagt an Trump. Zwar scheint eine lange und fette Mauer wertbeständiger, eine sichere Bank. Aber sie wäre so unsexy. Hat Donald Trump das denn gar nicht bedacht?

(w.g.)
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