Die großen Politiker-Familien

In Demokratien haben Herrscher-Dynastien nichts verloren. Nicht das Geblüt, sondern die Leistung entscheidet. Manche Familien aber setzen sich trotzdem durch.

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) kann auf keinen bedeutenden politischen Stammbaum zurückblicken. Ihr Vater war Gemeindepfarrer im brandenburgischen Templin, ihr Großvater wanderte aus Polen ein. Trotzdem hat sie ein Faible für klangvolle Politiker-Namen. Im Bundestagswahlkampf 2009 umgab sich die ranghöchste Christdemokratin fotogen mit 24 Enkeln aus dem Adenauer-Clan. Die Verbindung mit der Familie des Republik-Gründers sollte ihren Sinn für Tradition untermauern, den mancher Parteifreund bei ihr vermisst.

Adenauer - dieser Name hat Klang in der Bundesrepublik, wenngleich keiner der Nachkommen des "Alten" auch nur annähernd in dessen Fußstapfen trat. Und nicht nur die konservative Union, auch die Sozialdemokraten haben Familientradition vorzuweisen. Die langjährige Bundesministerin Anke Fuchs war die Tochter des früheren Hamburger Bürgermeisters Paul Nevermann. Und erst kürzlich wurde Britta Ernst, die Frau von dessen aktuellem Nachfolger in der Hansestadt, Olaf Scholz, zur Bildungsministerin im Bundesland Schleswig-Holstein berufen.

Gibt es so etwas wie eine erbliche Eignung zum Beruf des Politikers? Das prominenteste Beispiel für diese These sind Vater Ernst Albrecht und Tochter Ursula von der Leyen. Albrecht war einst ein Hoffnungsträger der CDU, wäre beinahe Kanzlerkandidat der Union geworden und regierte 14 Jahre lang das Bundesland Niedersachsen, das zuvor eine Hochburg der Sozialdemokraten war. Seine einzige Tochter Ursula von der Leyen, die heutige Verteidigungsministerin, hat ihr politisches Handwerk sicher beim Vater gelernt. Aber auch das charakteristische Lächeln, die offene Art, mit Menschen umzugehen, stammt ganz offensichtlich von dem inzwischen an Demenz erkrankten Politiker. Vater Albrecht förderte die begabte Tochter mit aller Kraft, verschaffte ihr nach einer längeren Zeit als praktizierender Ärztin und Mutter von sieben Kindern einen fulminanten Quereinstieg in die Politik.

"Ich habe von den Verbindungen und dem Namen meines Vaters profitiert", gibt die heutige Hoffnungsträgerin der Christdemokraten unumwunden zu. Längst steht sie auf eigenen Füßen und hat sogar die Chance, über ihren Vater hinauszuwachsen. Waren es also die guten Gene oder die guten Beziehungen, die von der Leyen die Karriereleiter nach oben klettern ließen? Eine verbindliche oder gar wissenschaftliche Antwort darauf gibt es nicht. Erstaunlich bleibt ihr Werdegang gleichwohl in einer Demokratie, in der der Gleichheitsgrundsatz die oberste Maxime ist und allzu prominente Familienbeziehungen eher Verdacht auslösen.

Das Hamburger Ehepaar Scholz-Ernst versucht sogar, die politischen Ambitionen unabhängig von seiner Beziehung zu verfolgen. Der hanseatische Landeschef und seine Frau sprechen voneinander als "Olaf Scholz" oder "Britta Ernst", niemals als "mein Ehemann" oder "meine Ehefrau". Die frisch gekürte Bildungsministerin in Kiel hasst es, wenn sie auf Empfängen als "Ehefrau des Ersten Bürgermeisters" vorgestellt wird. Sie haben beide ihre eigene politische Vorgeschichte. Der bekannte Sozialdemokrat heiratete Ernst erst, als sie Abgeordnete der Hamburger Bürgerschaft war. Als Scholz Erster Bürger der Hansestadt wurde, hat er darauf verzichtet, seine Frau zur Schulsenatorin zu machen, obwohl ihr auch die Opposition dieses Amt durchaus zugetraut hätte. "In keinem Bereich ist es richtig, dass Veränderungen bei einem Partner mit dem Verzicht des anderen begleitet werden", schrieb Ernst daraufhin erbost als politische Erklärung. Sie konnte ihr Credo wenige Jahre später einlösen - als Schulministerin des Nachbarlandes Schleswig-Holstein.

Eine andere Politiker-Familie bewegte jahrzehntelang die Bundesrepublik - die Brüder Vogel. Besonderen Reiz versprühte dieses Bruderpaar, weil der eine ein Spitzenpolitiker der SPD war, der andere Erfolg in der CDU hatte. Und das zu Zeiten, als sich in den 70er und 80er Jahren die beiden Parteien ideologische Grabenkämpfe lieferten. Sie blieben sich über all die Jahre verbunden, sprachen nie ein schlechtes Wort übereinander, aber sie waren sich auch fern - nicht nur charakterlich.

Bernhard Vogel, der einzige deutsche Politiker, der in zwei Bundesländern Ministerpräsident war, in Rheinland-Pfalz und Thüringen, ein jovialer, listenreicher, verschmitzter Typ. Sein Bruder Hans-Jochen, der personifizierte Bürokrat, der mit Hilfe von Klarsichtfolien seine Partei führte und dessen Mitarbeiter nach einem Wutanfall des Chefs die vielen weißen Blätter der Folien wieder einsammeln mussten, die der SPD-Politiker voll Zorn in den Raum geworfen hatte. Beide haben den ganz großen Sprung nach vorne nicht geschafft. Hans-Jochen war immerhin Kanzlerkandidat der SPD nach dem Koalitionswechsel der FDP im Jahr 1982, als ein Jahr später wieder eine Wahl anstand. Gewinnen konnte er die nicht. Aber auch die vermeintlichen Hoffnungsträger Johannes Rau, Oskar Lafontaine und Rudolf Scharping schafften das nicht. Immerhin trug Hans-Jochen die Uhr August Bebels als Parteivorsitzender der SPD als Nachfolger Willy Brandts. Sein Bruder Bernhard blieb stets im Schatten des CDU-Übervaters Helmut Kohl. Der Pfälzer machte sich nicht selten lustig über den gut gelaunten Bernhard. Zu später Stunde ließ er Vogel mit den Worten "Los, Bernhard, mach de Aff" schon mal auf dem Tisch tanzen. Bernhard und Hans-Jochen sind selten zusammen aufgetreten - wohl weil der ältere, ein Preuße, von TV-Quasselrunden wenig hielt. Der katholisch-großbürgerliche Haushalt, dem die beiden entstammten, prägte das Brüderpaar, jenseits der Parteigrenzen.

Eine deutsch-deutsche Politiker-Familie sind die de Maizières, eine Familie einst aus Frankreich eingewanderter protestantischer Hugenotten, deren Mitglieder in Preußen Karriere machten. Der heutige Innenminister Thomas de Maizière (CDU) könnte noch ganz groß aufsteigen. Er gilt als einer der Kronprinzen von Kanzlerin Merkel. Sein Vetter Lothar hat Geschichte geschrieben - als einziger frei gewählter Ministerpräsident der DDR. Die Grenze hat die Vettern getrennt. Lange Zeit durfte Thomas nicht in den Ostteil des Landes, weil sein Vater Ulrich einer der Mitbegründer und später Chef der Bundeswehr war. "Es war für uns nicht gerade das Allerschönste, den Generalinspekteur zum Onkel zu haben", sagte Lothar, dessen Vater in der DDR zu den wenigen Rechtsanwälten des Landes zählte und als Stütze des Regimes galt.

Die Wiedervereinigung brachte die Familie wieder zusammen. Die beiden Vettern treffen sich regelmäßig und haben ein gutes Verhältnis zueinander. Ihre Geschichte war am 25. Jahrestag des Mauerfalls ein viel gefragter Stoff - auch in unserer Zeitung.

Generationenübergreifend sind die Politikerkarrieren der Familie Schäuble. Der Badener Wolfgang Schäuble (CDU) ist mittlerweile der dienstälteste Minister der westlichen Welt. Seit genau 30 Jahren ist er abwechselnd Minister, Fraktionschef, Parteichef und wieder Minister. Sein verstorbener Bruder Thomas bekleidete im Heimatland Baden-Württemberg den Posten des Innenministers, und der Ehemann seiner Tochter Christine, Thomas Strobl, ist inzwischen dort CDU-Landesvorsitzender. In die Schlagzeilen kam der Schäuble-Clan, als die Tochter, wie ihr Vater Christdemokratin, eine hohe Position beim Südwestrundfunk bekommen sollte. Das galt als Musterbeispiel für die Verquickung von Familieninteressen und Politikereinfluss.

Trotz der Beispiele stellen politische Familien in Deutschland eher die Ausnahme dar. "Die Parteiendemokratie funktioniert als Gleichmacher", meint der Düsseldorfer Politikwissenschaftler Thomas Poguntke. Während in den USA oft Geld und lokale Macht über den Aufstieg entscheiden und dafür auch familiäre Vermögen genutzt werden, bestimmen in Deutschland die Parteien und ihre Gremien über Karrieren. Auch Träger berühmter Namen oder Kinder bedeutender Politiker müssen die Ochsentour machen.

Als Ausnahme galt Karl-Theodor zu Guttenberg. Für den Abkömmling eines Adelsgeschlechts aus dem 12. Jahrhundert begeisterte sich ganz Deutschland. Dass er die gut aussehende Urenkelin Bismarcks zur Frau hatte, beförderte seinen Aufstieg sogar. Eine deutsche Politiker-Dynastie schien geboren. Ein Plagiat als Doktorarbeit zu veröffentlichen, führte zum Sturz des Himmelstürmers. Seitdem ist der Traum von dem deutschen Kennedys erst einmal ausgeträumt.

(RP)
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