Literaturbetrieb entdeckt Booktok Schöne neue Bücherwelt

Leipzig · Die Bücherplattform Booktok verzeichnet Milliarden von Zugriffen vor allem junger Leser. Sie preisen mit Kurzvideos ihre Lieblingsbücher an. Das hat Verkaufszahlen in die Höhe schnellen lassen. Inzwischen mischen auch Verlage und Buchhandlungen auf der Plattform von Tiktok mit.

Ulrike Altig, Geschäftsführerin von Media Control, spricht auf dem Panel ·#Booktok·auf der Leipziger Buchmesse.

Ulrike Altig, Geschäftsführerin von Media Control, spricht auf dem Panel ·#Booktok·auf der Leipziger Buchmesse.

Foto: dpa/Hendrik Schmidt

Was die Leute so alles anstellen, um ihre Bücher unters Volk zu bringen! Kutschieren etwa bis nach Leipzig mit vielen Kisten ihrer literarischen Ware, laden ihre Autorinnen und Autoren ein, organisieren Lesungen und Signierstunden, veranstalten nette Empfänge. Keine Frage, das ist gut so, anregend, wichtig, und war außerdem immer schon so. Nur ob es so auch bleiben wird, darf dezent hinterfragt werden. Weil die Ansprache besonders an junge Leser neue, selbstredend digitale und inzwischen auch erfolgversprechende Wege beschreitet. Einer davon: die Plattform #Booktok.

Genau dort unter diesem Hashtag hat sich auf der Kurzvideo-App Tiktok – altfränkisch formuliert – eine veritable Büchergemeinschaft versammelt, und neudeutsch: eine Community aus Userinnen und Usern. Klar, das kann man als einen dieser kurzlebigen Trends beiseite wischen. Inzwischen spricht aber doch einiges dafür, dass Booktok eine feste Größe im Literaturbetrieb werden könnte, manche sprechen schon von einer anhaltenden Sogwirkung.

Dazu ermuntern zunächst bedenkenswerte Zahlen. Dass Booktok weltweit 130 Milliarden Zugriffe verzeichnet und in Deutschland knapp 850 Millionen, lässt Autoren- und Verlegerherzen höherschlagen. Und immer wieder wird dann auf die sogenannte Young-Adult-Autorin Colleen Hoover verwiesen, die ihre Erfolge als eine der umsatzstärksten Autorinnen in Deutschland vor allem Booktok zu verdanken hat; wie auch Madeline Miller, deren moderne Ilias-Sage unter dem Titel „Das Lied des Achill“ 2012 beachtliche 20.000 Mal verkauft wurde, zehn Jahre später von Book-Tokerinnen entdeckt, im Kurzvideo gepriesen wurde und daraufhin zwei Millionen Käufer fand.

Schöne neue Bücherwelt – zumal besonders der Lesernachwuchs die „Abverkäufe“ antreibt, zumindest wahrnehmbar aber auch Leserinnen und Leser jenseits der 30. Zu dieser schönen neuen Welt gehört übrigens auch der erneute Erfolg des George-Orwell-Romans „1984“, in dem im vergangenen Krisenjahr eine Booktokerin ihre Stimmung gespiegelt fand, was zu einer Verdopplung der Verkaufszahlen dieses dystopischen Buches aus dem Jahr 1949 führte.

Mit ein wenig Zeitverzögerung hat der Buchmarkt hierzulande reagiert: Immer mehr Buchhändler stellen eigene Booktok-Regale im Laden auf, und ihre Mitarbeiter sind mit eigenen Videos auf der Plattform vertreten. Aber auch namhafte Verlage versuchen mitzumischen. Zur Leipziger Buchmesse vermeldete Suhrkamp erste Auftritte. Während dtv schon seit längerem mit Kurzfilmchen vertreten ist, von denen manche mehr als eine Million Mal aufgerufen wurden. Der Verlag dtv hat zudem die deutschen Rechte an den Hoover-Büchern erworben.

Dass Booktok sich anschickt, auf dem Markt eine feste Größe zu werden, zeigt auch die jüngste Präsentation einer eigenen Bestsellerliste, auf der monatlich die 20 erfolgreichsten Titel von Booktok zu finden sind. Ermittelt werden diese von Media Control, die 9000 Verkaufsstellen in Deutschland anzapft und unter anderem vergleichbare Rankings schon für den Spiegel und das Börsenblatt des deutschen Buchhandels erstellt.

Dass Booktok weiter wachsen wird, scheint erst einmal gesetzt zu sein, da es ein dynamisches System ist. Im Gespräch mit unserer Redaktion betont Tobias Henning – General Manager unter anderem von Tiktok Deutschland –, dass die Buchempfehlungen von Booktok im Netz mäandern und an verschiedenen Stellen wieder auftauchen und vielleicht dort weitere Wirkung zeigten.

Das klingt nach Goldgräberstimmung. Unklar aber ist, wohin die Reise gehen wird und ob irgendwann der „Umweg“ über den stationären Buchhandel vermieden und die gepriesene Literatur direkt online bestellt werden kann. Das könnten dann Marktveränderungen der bedenklichen Art werden.

Und die Autorinnen und Autoren sind die Zuschauer dieses munteren Treibens? Nicht doch. Sie können und sollten mitmischen. Möglicherweise geht es dann bei der Selbstvermarktung nicht mehr nur darum, originell zu lesen und schön zu signieren, sondern selbst spannende Kurzvideos in eigener Sache zu produzieren. Wie das gehen soll? Auf der Leipziger Buchmesse hat #Booktok genau dazu praktischerweise schon mal einen Workshop angeboten.

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