Eine Maestra am Pult Ein Sprungbrett für junge Dirigentinnen

Remscheid/Solingen · Seit 20 Jahren gibt es bei den Bergischen Symphonikern eine Orchesterakademie, die Frauen am Pult fördert.

 Mirga Gražinyte-Tyla, Joana Mallwitz und Oksana Lyniv (v. l.) sind Chefinnen bei großen Orchestern.  Fotos: CBSO/dpa(2)

Mirga Gražinyte-Tyla, Joana Mallwitz und Oksana Lyniv (v. l.) sind Chefinnen bei großen Orchestern. Fotos: CBSO/dpa(2)

Foto: Foto: DBSO, dpa (2) | Montage: Zörner

Es war nur eine Frage der Zeit, dass auch diese Hürde überwunden wurde. Soeben hat eine Jury aus Musikkritikern Joana Mallwitz zur „Dirigentin des Jahres“ gewählt. Einen „Dirigenten des Jahres“ gibt es diesmal nicht. Mallwitz ist Generalmusikdirektorin in Nürnberg, und immer häufiger begegnet man nicht nur in Deutschland, sondern weltweit der Tatsache, dass den Taktstock eine weibliche Hand führt. Einige stehen bereits an prominenten Pulten – und zwar nicht, weil sie Frauen, sondern weil sie sehr kompetent sind.

Dass es vielerorts eine Maestra gibt, hat viel mit dem Bergischen Land zu tun. Dort gibt es seit 20 Jahren, als Schwerpunkt der Orchesterakademie der Bergischen Symphoniker in Remscheid/Solingen, ein spezielles Dirigentinnen-Stipendium. Junge Künstlerinnen, die in ihrem beruflichen Leben einem Orchester vorstehen wollen, lernen dort die Chef-Arbeit hautnah kennen, können Erfahrungen bei Aufführungen sammeln, üben sich in der Kommunikation mit einem Orchester-Kollektiv, das ja eine Summe aus lauter Individualisten und Spezialkönnern auf ihrem jeweiligen Instrument ist.

Im Bergischen war man dem Trend, dass Frauen in der traditionell männlich dominierten Dirigentenwelt einen Kurskorrektur oder eine Gender-Ausweitung auslösen können, schon immer gefolgt. Von 1977 bis 1985 gab es in Sylvia Caduff die erste deutsche GMD in Solingen. Später kam, von 1998 bis 2009, Romely Pfund als erste GMD der (aus beiden Städten fusionierten) Bergischen Symphoniker.

Pfund gab auch die Anregung zur Gründung der Orchesterakademie, die junge Orchestermusiker trimmt, mit dem Schwerpunkt des Dirigentinnen-Stipendiums. Das wird mit 800 Euro monatlich vom Land NRW gefördert. Pro Jahr sieht das Orchester also ein neues weibliches Gesicht, das bei den Proben lauscht, mitwirkt und irgendwann auch selbst am Pult stehen darf.

Im Bergischen war die Psychologie des Metiers von Anfang an anders als in anderen Städten. Natürlich hörte man auch dort, als das Dirigentinnen-Stipendium gegründet wurde, Kommentare von Musikern, wieso es denn eine spezielle Frauenförderung am Pult geben müsse. „Diese Haltung hat sich komplett gelegt“, sagt Almuth Wiesemann, die im Orchestervorstand sitzt und sich als Tutorin um die Dirigentinnen kümmert. „Ich selbst erlebe nie einen Unterschied, ob ein Mann oder eine Frau vorn steht“, erzählt die Geigerin. „Entweder jemand ist begabt und hat Ausstrahlung, oder er hat beides eben nicht. Der neue GMD vor Ort ist zwar ein Mann, Daniel Huppert, „aber er fördert das Projekt tatkräftig“, berichtet Wiesemann. Chauvinistische Tendenzen seien nicht seine Sache, eher eine partnerschaftliche Haltung, „und die tut der Sache gut“.

Einige Stipendiatinnen machen mittlerweile sogar Weltkarriere. Die berühmtesten sind die Litauerin Mirga Grazinyte-Tyla, die mittlerweile Chefin beim City of Birmingham Symphony Orchestra ist, und die Ukrainerin Oksana Lyniv, die seit zwei Jahren GMD in Graz ist. Diese ergiebige bergische Situation war nicht denkbar ohne ein tatkräftiges Kuratorium, in dem sich kunstsinnige Industrielle aus beiden Städten engagieren. Sie sehen ihr Mitwirken als Förderung der Kunst und der Region gleichermaßen. Das zahlt sich aus: Die Bergischen Symphoniker und ihre Nachwuchsförderung strahlen weithin aus.

Im Jubiläumskonzert (22. Oktober in Solingen, 23. Oktober in Remscheid, jeweils 19.30 Uhr) werden zwei frühere Stipendiatinnen, Silke Löhr und Bar Avni, einen Teil des Programms übernehmen. Huppert als Mann am Pult ist an dem Abend also klar in der Unterzahl.

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