Auch evangelische Kirche verliert viele Mitglieder Austritte nicht als gottgegeben hinnehmen

Berlin · Deutschlands Protestanten verlieren in den Corona-Jahren erheblich an Mitgliedern. Ende 2021 gehörten noch 19,725 Millionen Menschen einer evangelischen Landeskirche an. Allein die rheinische Landeskirche verlor in den vergangenen zwei Jahren 120.000 Mitglieder.

 Auch die evangelische Kirche in Deutschland schrumpft.

Auch die evangelische Kirche in Deutschland schrumpft.

Foto: dpa/Franziska Kraufmann

Es sind nicht allein die Katholiken, denen die Gläubigen davonlaufen. Auch Deutschlands Protestanten haben im vergangenen Jahr einen drastischen Mitgliederrückgang zu verzeichnen. Das geht aus den vorläufigen Mitgliederzahlen für das Jahr 2021 hervor, die die EKD und ihre 20 Landeskirchen am Mittwoch veröffentlicht haben. Demnach gehörten am 31. Dezember noch 19,725 Millionen Menschen einer evangelischen Landeskirche an. Zur Evangelischen Kirche im Rheinland gehörten demnach noch 2,335 Millionen Menschen. Ende 2020 waren es noch 2,398 Millionen, Ende 2019 2,453 Millionen. Die in Nordrhein-Westfalen, dem Saarland, Rheinland-Pfalz und Hessen beiheimatete Landeskirche hat demnach innerhalb der letzten beiden Jahre rund 120.000 Mitglieder verloren.

Deutlich gestiegen ist dabei die Zahl der Kirchenaustritte. Im Corona-Jahr 2020 waren aus der EKD und ihren Gliedkirchen noch 220.000 Menschen ausgetreten. 2021 waren es den vorläufigen Zahlen zufolge 280.000. Zudem stiegen in den Pandemiejahren 2020 und 2021 bundesweit die Sterbefälle, während viele Kindertaufen aufgrund der diversen Lockdowns und der fehlenden Möglichkeiten, eine Familienfeier durchzuführen, ausfielen.

Das lässt sich auch an den Zahlen der Evangelischen Kirche im Rheinland dokumentieren: Hier stieg die Zahl der evangelischen Kirchenaustritte von 22.283 im Jahr 2020 auf 32.900 im vergangenen Jahr. Gleichzeitig sank die Zahl der Taufen von 17.644 im letzten Jahr vor der Pandemie auf 8771 in 2020 und 12.400 in 2021. Und die Zahl der Sterbefälle stieg von 40.500 in 2019 auf jeweils rund 43.500 in den vergangenen beiden Jahren. „Zwar hängt die Ausstrahlungskraft einer Kirche nicht allein an der Zahl der Mitglieder, die ihr formal angehören, trotzdem werden wir sinkende Mitgliederzahlen und anhaltend hohe Austrittszahlen nicht als gottgegeben hinnehmen, sondern dort, wo es möglich ist, entschieden gegensteuern“, kündigte die EKD-Ratsvorsitzende, die westfälische Präses Annette Kurschus, am Mittwoch an.

So plane die EKD gezielte Taufinitiativen: Mit zahlreichen Aktionen würden in vielen Landeskirchen Taufangebote unterbreitet, um Familien, die während des Lockdowns kein Tauffest feiern konnten, Gelegenheit zu geben, die Taufe nachzuholen. „Bei der Taufe eines Kindes erfahren wir unmittelbar, wie die Kraft des Evangeliums Menschen berührt und stärkt“, sagt Kurschus. Der Segen begleite die Getauften ein Leben lang. „Diese Zusage ist gerade in unsicheren Zeiten verheißungsvoll und heilsam zugleich“, so die Ratsvorsitzende. Ähnlich äußerte sich der Sprecher der Evangelischen Kirche im Rheinland, Jens-Peter Iven. „Die Austrittszahlen schmerzen uns sehr, denn Hoffnung und Gemeinschaft, für die wir als christliche Kirche stehen, sind für die Menschen persönlich und die Gesellschaft insgesamt gut und notwendig“, sagte Iven. Daher gebe es in der Rheinischen Kirche derzeit eine Social-Media-Initiative mit den Worten: ,Kirche – ich bin gerne dabei, weil …'. 

Eine der Hauptursachen für die zahlreichen Austritte auch aus der evangelischen Kirche bleibt indes der Skandal um den sexuellen Kindesmissbrauch. Das geht aus einer Studie des Sozialwissenschaftlichen Instituts der EKD hervor, die ebenfalls am Mittwoch veröffentlicht wurde. Für die Studie wurden insgesamt 1500 Personen befragt, die seit dem Jahr 2018 aus der evangelischen oder der katholischen Kirche ausgetreten sind. Sie spiegelt wieder, dass der Kirchenaustritt bei vielen Ausgetretenen am Ende einer längeren Entfremdungsgeschichte stand.

Nur bei einer Minderheit der Ausgetretenen – nämlich bei 24 Prozent der befragten vormals Evangelischen und bei 37 Prozent der befragten Katholischen – gab es einen einzigen konkreten Anlass für den Austritt. Dann allerdings war es in der überwiegenden Zahl der Missbrauchsskandal. Bei vormals katholischen Ausgetretenen spielte zudem der Umgang mit Homosexuellen eine Rolle – hier allerdings unterscheiden sich die beiden großen Kirchen bekanntlich in ihrer Theologie: In der evangelischen Kirche werden gleichgeschlechtliche Paare getraut, während es im Katholizismus weiterhin keine Form der offiziellen Anerkennung homosexueller Beziehungen gibt.

Indes sorgte die EKD mit ihrer Veröffentlichung am Mittwoch auch für einen ökumenischen Affront: Traditionell stellten beide großen Kirchen in den vergangenen Jahren ihre Mitgliederzahlen immer am selben Tag der Öffentlichkeit vor. Nun preschten die Protestanten vor – und gaben ihre vorläufigen Zahlen ausgerechnet während der Frühjahrsvollversammlung der katholischen Bischöfe im fränkischen Vierzehnheiligen bekannt. „Es wird heute keine Zahlen der Deutschen Bischofskonferenz oder eines katholischen Bistums geben“, sagte deren Pressesprecher Matthias Kopp. „Die katholische Kirche gibt seit 30 Jahren ihre finalen Zahlen im Sommer bekannt.“ An diesem Weg werde man festhalten und die eigenen Zahlen voraussichtlich am 27. Juni veröffentlichen.

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