"Deutsche Orchester denken mehr nach"

Interview Alan Gilbert, Chefdirigent des New York Philharmonic Orchestra

Am 11. Februar gastiert das New York Philharmonic Orchestra mit dem Star-Pianisten Lang Lang in der Tonhalle. Das älteste Symphonieorchester der USA gilt als einer der besten Klangkörper der Welt und kann auf eine glanzvolle Reihe prominenter Chefdirigenten zurückblicken, unter anderem Arturo Toscanini und Gustav Mahler. Seit 2009 ist der 1967 geborene New Yorker Alan Gilbert Chefdirigent des ehrwürdigen Orchesters, das derzeit auf Europa-Tournee ist.

Ihr Vorgänger war Lorin Maazel, ein Dirigent mit einer ausgeprägt klassischen Handschrift. Wie würden Sie ihre beschreiben?

Gilbert Das ist eine schwierige Frage. Wie soll man sich selbst beschreiben? Sagen wir mal so: Ich habe einen großen Teil meines professionellen Lebens in Europa verbracht, und fühle mich dort sehr zuhause, sowohl was die Haltung der Musiker als auch was das Publikum angeht. Ich kann mich auch glücklich schätzen, dass ich von Anfang an eine Menge unterschiedlichster musikalischer Einflüsse hatte und viel gereist bin. Also glaube ich nicht, dass ich einen typisch amerikanischen Stil verkörpere.

Was haben Sie in der Arbeit mit dem Orchester verändert?

Gilbert Ich hatte gar nicht vor, gezielt Dinge zu verändern, denn ich bewundere Lorin Maazel sehr.

Ihre Eltern haben jahrzehntelang im New York Philharmonic Orchestra Violine gespielt. Sie sind also sozusagen ein Kind des Orchesters. Macht es das einfacher für Sie?

Gilbert Ich denke ja. Wenn Sie zu einem Orchester kommen, ist der erste Moment ja immer schrecklich nervenaufreibend. Diese alles entscheidende Frage, ob die Chemie stimmt. Und als ich die erste Probe mit dem NYPO hatte, war ich wirklich sehr nervös! Aber es war seltsam, denn es fühlte sich dann gar nicht an wie die erste Probe. Von Anfang an war es sehr vertraut. Das ist natürlich eine einzigartige Situation, denn durch meine Eltern kannte ich viele der Musiker schon mein ganzes Leben lang.

Sie sind auch Gastdirigent beim NDR-Orchester Hamburg. Gibt es Unterschiede zwischen deutschen und amerikanischen Orchestern?

Gilbert Ich denke, heute sind sich Orchester ähnlicher, als sie es früher waren. Es ist ja so einfach geworden zu reisen. Und doch gibt es Unterschiede. Vor allem in der Klangkultur. Aber auch in der Haltung. In den deutschen Orchestern wird zum Beispiel mehr nachgedacht. Und das Proben-Verhalten ist sehr unterschiedlich. In Amerika geht alles schneller, man probt sehr effizient. Das hat Vorteile. Aber manchmal brauchen die Dinge auch Zeit, da haben dann wieder die längeren Probenzeiten Vorteile.

Was schätzen Sie an ihrem Orchester am meisten?

Gilbert Die phänomenale Flexibilität und Schnelligkeit, sich auf einen Dirigenten einzulassen.

Auf ihrer Europa-Tournee spielen Sie ein sehr breites Repertoire zwischen Romantik und Klassischer Moderne. Wo liegen Ihre Vorlieben?

Gilbert Wenn ich sagen sollte, welchen Komponisten ich für den Rest meines Lebens dirigieren wollte, würde ich sagen: Haydn oder Mozart, vielleicht auch Schubert. Diese Partituren sehen vergleichsweise simpel aus, aber sie lassen viel Raum für Interpretation.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort