Regisseur Milos Forman Der widerständige Geist von Hollywood

Düsseldorf · Der große Regisseur Milos Forman ist 86-jährig gestorben. Sein Meisterwerk "Einer flog über das Kuckucksnest" bewegt noch heute.

Wer den Film "Einer flog über das Kuckucknest" zum ersten Mal sieht, wird danach nicht ruhig schlafen können. Das Finale dieser Produktion, diese legendäre Szene im Schlafsaal der Psychiatrie, ist so eindringlich, dass man geradezu eine Faust auf der Brust spürt. Der von Jack Nicholson gespielte Randle McMurphy, der eine psychische Erkrankung nur vorgetäuscht hatte, um einer Gefängnisstrafe zu entgegen, liegt in seinem Anstaltsbett. Sein Kumpel, Chief Bromden, setzt sich zu ihm und will ihn zur Flucht überreden. Doch dann sieht er an den Schläfen des Freundes die Narben jener Operation, mit der man ihn ruhiggestellt und seiner Persönlichkeit beraubt hat. Er umarmt den regungslosen Mann, und bevor Bromden alleine flüchtet, sagt er: "So lass ich dich nicht hier. Du kommst mit mir. Lass uns gehen." Dann drückt er McMurphy ein Kissen aufs Gesicht.

Milos Forman wurde für diesen heute noch bewegenden Film 1976 mit dem Regie-Oscar geehrt. "Einer flog über das Kuckucksnest" gewann auch in der Kategorie Bester Film, Jack Nicholson wurde ebenfalls ausgezeichnet. Dabei wollte eigentlich Kirk Douglas seine Rolle spielen. Der war schon in dem Theaterstück aufgetreten, das aus dem gleichnamigen Kultroman von Ken Kesey hervorgegangen war. Sein Sohn, der Schauspieler Michael Douglas, der das "Kuckucksnest" produzierte, hatte den Vater aber überredet, von seinem Plan zurückzutreten. Jack Nicholson wurde dadurch endgültig zum Superstar und Milos Forman zum Meisterregisseur.

Dass die Produzenten dem damals in Hollywood erfolglosen Forman diese Arbeit angetragen hatten, war eine hellsichtige Wahl. Forman wurde 1932 in Mittelböhmen geboren, und er hatte den Einmarsch von Hitlers Wehrmacht und die Zeit der Besatzung erlebt. Seine Eltern waren Juden, sie wurden von den Deutschen verschleppt und in Konzentrationslagern ermordet. Forman wuchs bei Verwandten auf, und auf der Prager Filmhochschule entwickelte er seinen sarkastischen Stil. Er galt als besonders experimentierfreudig, und er knüpfte damals bereits den roten Faden, der sich bis in sein Spätwerk ziehen sollte: Sein Thema war das widerständige Individuum, das gegen den Konformitätsdruck aufbegehrt. Forman popularisierte die Gegenkultur.

Sein erster Film war "Der schwarze Peter", die Geschichte eines rebellischen Teenagers, die er mit Laiendarstellern drehte. In "Der Feuerwehrball" übte er dann unverhohlen Regimekritik: In dieser Satire ruinieren Parteifunktionäre ein Fest. Die Produktion wurde verboten, und nachdem der Prager Frühling 1968 niedergeschlagen worden war, zwang man Forman, der sich in Paris aufgehalten hatte, zur Emigration. Er ließ seine Frau und die kleinen Zwillinge zurück und ging in die USA.

"Mein halbes Leben lebte ich in totalitären Systemen", sagte Forman, "da fing ich an, Menschen zu bewundern, die etwas wagen." So handeln seine oft parabelhaften Filme von Menschen, die aufbegehren. Das Porträt des bitteren Komikers Andy Kaufman etwa, das er in "Der Mondmann" mit Jim Carrey zeichnete. Oder seine Film-Biografie des "Hustler"-Herausgebers und Milliardärs Larry Flynt.

Formans Lebensgeschichte ist eine Version des American Dream: der Flüchtling, der ein fremdes Land betritt und zunächst keine Aufträge bekommt. Das "Kuckucksnest", das er selbst als Gleichnis auf den Menschen in der Diktatur verstand, änderte alles. Der Widerspenstige passte in die Zeit. Er verfilmte das Hippiemusical "Hair", und 1985 triumphierte er abermals bei den Oscars. "Amadeus" wurde mit acht Preisen bedacht, darunter die für die Beste Regie und den Besten Film. Mozart trat in diesem Film mit rosa Perücke auf; er war der liebenswürdige Freigeist, der die Autorität mit seiner Kunst unterminierte. Der immense Erfolg war indes nicht der größte Triumph. Forman hatte den Film zu großen Teilen in Prag gedreht, er war also als Weltstar in seine Heimat zurückgekehrt. Das sei seine eigentliche Freude, sagte er in seiner Oscar-Rede, die er mit immer noch starkem Akzent vortrug.

1975 wurde Forman US-Bürger. Nur neun Filme drehte er in den Vereinigten Staaten. Sie reichten aus, ihn zu einem der Großen zu machen. 2006 verabschiedete er sich mit "Goyas Geister" aus dem Regiestuhl. Dass man ihn sich als glücklichen Menschen vorstellen darf, zeigt das Jahr 2007. Da inszenierte er in Prag eine Oper, und zwar gemeinsam mit seinen Zwillingssöhnen, die er einst zurückgelassen hatte. Es sei der größte Erfolg seines Lebens, sagte er.

Am Samstag ist Milos Forman nach kurzer Krankheit in seinem Haus in Connecticut gestorben. Er wurde 86 Jahre alt.

(hols)
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