Der tägliche Horror in der Reihenhaus-Siedlung

Drama "Totem" erzählt von einer jungen Frau, die als Haushaltshilfe bei einer rätselhaften Familie arbeitet

Familie Bauer hat sich eine Haushaltshilfe gesucht. Im Internet. Jetzt wird Fiona erst mal wie eine Trophäe vorgeführt. Sie soll sich gefälligst mal dazu setzen, an den Wohnzimmertisch. Oder im Garten bei Ballspielen mitmachen. Warum Fiona diesen Job angenommen hat, bleibt in "Totem" unklar, aber wenn Fiona den Boden wischt, verflucht sie mit mühsam unterdrückter Wut den "Saustall", in den sie geraten ist. Wenn Fiona gefragt wird, sagt sie, ihre Eltern seien tot. Aber kurz darauf erzählt sie am Telefon ihrer Mutter, dass der Urlaub am Meer sehr schön sei.

Es ist eine merkwürdige Familie, in die die geheimnisvolle Fiona hineingeraten ist. Es herrscht Überdruss, eine Atmosphäre latenter Gewalt, die sich schließlich entlädt: in dem wütend vorgetragenen Wunsch, auch mal allein sein zu dürfen. Jessica Krummacher, Absolventin der Münchener Filmhochschule, gelingt mit ihrem Spielfilmdebüt ein ganz erstaunlicher Spagat, der von früher Meisterschaft zeugt. Krummacher beobachtet präzise, verzichtet aber auf die übliche, in Dialoge gegossene Figurenpsychologie, wodurch ihr Film mysteriös wird und vieles offenlässt. "Totem" hält über weite Strecken einen Schwebezustand zwischen Sozialrealismus und Horrorfilm, wobei auch hier der Zuschauer entscheiden muss, was noch Realismus oder schon Horror ist. Ist ein Porzellan-Schäferhund in Lebensgröße schon zum Gruseln? Oder braucht es da die Alltagsschilderungen und Tischgespräche, die direkt aus Fassbinders "Katzelmacher" zu stammen scheinen? Warum merkt niemand, dass es sich bei den neugeborenen Zwillingen um Baby-Puppen handelt? Ist es traurig, wenn sich Mutter Claudia versteckt, um Fiona von hinten einen Stoß zu versetzen? Oder doch eher komisch?

Dazu gibt es Kamerafahrten ins Nichts, die bei David Lynch stets in die Hölle zu führen scheinen, in "Totem" allerdings nur ins Hallenbad. Der Zuschauer blickt in einen familiären Abgrund aus Depression und Fühllosigkeit, der von der Filmemacherin allerdings provokativ nicht denunziert, sondern nur registriert wird. Das Hausmädchen erfüllt hier zunächst die Funktion eines Blitzableiters, aber in bester Herr-Knecht-Dialektik versteht es Fiona, die Verhältnisse zum Tanzen zu bringen, bis sogar die Polizei frustriert einsieht: "Es ist nicht notwendig, alles zu verstehen."

So steht man staunend vor einem Film, der beides ist: Groteske und Schauerstück zugleich. Und man könnte auf die Idee kommen, dass diese Einheit des Widersprüchlichen etwas Grundsätzliches mit dem Leben in Deutschland zu tun hat. llll

(RP)
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