Streetart-Künstler JR stellt in Düsseldorf aus Wenn Kunst Menschen wahrnehmbar macht

Düsseldorf · Der Franzose JR hat sich vom Streetart-Künstler zum wirkmächtigen Kunstaktivist entwickelt. Die Galerie Breckner stellt ihn ergänzend zu „Wonderwalls“ im NRW-Forum aus.

 Ein Werk des französischen Streetart-Künstlers JR an der israelisch-palästinensischen Grenzmauer.

Ein Werk des französischen Streetart-Künstlers JR an der israelisch-palästinensischen Grenzmauer.

Foto: J. Kulcke/Jack Kulcke

JR ist in Düsseldorf noch ein Insidertipp, weltweit aber, insbesondere auf Social Media, ein Star, der die längste Galerie der Welt, nämlich den öffentlichen Raum, bespielt. Die zwei Großbuchstaben haben rein gar nichts mit dem Fiesling aus einer bekannten US-Soap zu tun. Sie stehen als Synonym für einen Künstler, der JR mit „juste ridicule“ („einfach lächerlich“) übersetzt und der mit seinen Aktionen auf Menschen hinweist, die am Rande der Gesellschaft leben. Er will sie wahrnehmbar machen, ihnen will er Name und Gesicht und ihre Einzigartigkeit zurückgeben – mithilfe von Apps erfährt man bewegende Lebensbiografien hinter den Bildern.

Mit der Zeit ist de Künstler museumsreif und marktkonform geworden. Die Kunsthalle München und das Museum Groningen stellen ihn aus, im NRW-Forum ist er gerade in der zuschauerstarken Schau „Wonderwalls“ zu sehen. Und die Galerie Breckner zeigt das, was übrigbleibt von dem sich nach der eigentlichen Aktion verflüchtigenden Werk: Fotodokumentationen seiner aufsehenerregenden Unternehmungen.

In den Favelas von Brasilien hat JR arme, für ihr Leben und ihre Familien kämpfende Frauen zu Heldinnen erklärt, deren Porträts auf die Dächer der Wellblechhütten aufgebracht. An einem Stück der israelisch-palästinensischen Grenzmauer prangten einige Meter hoch auf Fotopapier Gesichter von Priestern aller Religionen. Das Ensemble der Gesichter brachte die Betrachter vor Ort in Schwierigkeiten, Aussagen darüber zu machen, wer auf welche Seite gehört.

In Florenz hat JR die Fassade des berühmten Palazzo Strozzi mit einer 33 Meter hohen Fotofolie verhüllt, als alle Museen während des Lockdowns geschlossen blieben. Das Motiv zeigt aufgerissene Mauern, bröckelndes Gestein und gibt den Blick auf Botticellis Venus frei. JRs Dokumentationen sind meist flüchtige Zwitter aus Wirklichkeit und Fiktion.

Das Werk des 39 Jahre alten Franzosen mit arabischen Wurzeln ­– Markenzeichen: schwarzer Hut und dunkle Brille – hat sich aus der Street Art-Kultur entwickelt, weist indes darüber hinaus. JR macht ähnlich wie einst Christo mit einem Team von Mitstreitern partizipative, auch wohltätige Projekte. Anders als Christo berichtet er über Menschen, die er nicht nur abbildet, sondern deren Biografien er für wichtig erachtet und sie per App abrufbar macht. Seinen Anfang hat das in den Banlieues von Paris genommen.

Sicher eine der spektakulärsten Aktionen ist jene, die im Hochsicherheitstrakt eines US-Gefängnisses lief und die der Künstler auf Youtube im Ted Talk ausführlich beschreibt. Gemeinsam mit Gefangenen und Wärtern hatten er und sein Team riesige Papierbahnen von Insassenfotos mit Kleister auf den Hof aufgebracht. Das Foto-Ensemble, das wie eine Collage aus Ewigkeit und einem einzigen Tag wirkt, wurde mit einer Drohne aufgenommen. Der steinerne Kerker hat somit seine Seele, die Menschen wahrnehmbar gemacht.

Alle Köpfe der Inhaftierten wurden zu einer monumentalen Collage vereint, und JR stellte deren Lebensgeschichten ins Netz. Unglaubliche Dinge ereigneten sich daraufhin: So fand eine Mutter ihren über Jahrzehnte verloren geglaubten Sohn wieder. Ein anderer, dessen Problem ein Hakenkreuz-Tattoo auf der Wange war, erhielt nach der Entlassung Orientierungshilfe von JR. Der vermittelte ihn zu einem Doktor – in diesem Fall interessant, zu erwähnen, dass es ein New Yorker Jude war –, der ihm das Schandmal aus seinem Gesicht laserte.

All solche Geschichten fangen und fügen sich in ansehnlichen Foto-Editionen, deren Exemplare zwischen 1000 und 3500 Euro kosten. Originale von JR hingegen, wie etwa ein Stück brasilianisches Wellblechdach mit Frauenfoto, gehen auf internationalen Auktionen zu sechsstelligen Beträgen in Sammlerhände. Der Galerist macht keinen besonderen Gewinn damit, Till Breckner geht es nur darum, mit JR in Düsseldorf einen Dialog über Menschlichkeit anzuregen. Was eine gute Idee ist.

Info Galerie Breckner, Altestadt 7.

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