Biographie eines Flusses Deshalb ist es am Rhein so schön

Reisebericht, Naturbetrachtung, Kulturgeschichte: Hans Jürgen Balmes schreibt die Biografie des Rheins. Sein Buch „Der Rhein“ feiert die Schönheit des Flusses und dokumentiert die Gewalt, die der Mensch ihm antut.

 Der Bonner Bogen, mit dem der Rhein eine markante Westbiegung vollzieht. Der Horizont flussaufwärts markiert rechtsrheinisch Königswinter und linksrheinisch Bad Godesberg.

Der Bonner Bogen, mit dem der Rhein eine markante Westbiegung vollzieht. Der Horizont flussaufwärts markiert rechtsrheinisch Königswinter und linksrheinisch Bad Godesberg.

Foto: Krebs, Andreas (kan) Jana Bauch/Krebs, Andreas (kan) Jana Bauch (jaba)

Das ist das Buch über den Rhein, das man sich immer gewünscht hat. Hans Jürgen Balmes hat es geschrieben, er blickt voller Zuneigung auf diesen Fluss, und wahrscheinlich liegt es daran, dass er in Koblenz geboren wurde und sein ganzes Leben in der Nähe des Stroms verbracht hat. Jedenfalls wäre es schön, würde Balmes sein Werk gleich selbst als Hörbuch einlesen, denkt man am Telefon. Seine Stimme fließt so ruhig und bestimmt wie ein Fluss, und er kann ganz wunderbar erzählen von seinen Beobachtungen und von den Phänomenen am Wasser und am Ufer. Von der Trauerseeschwalbe etwa, die bei Rees in schwimmenden Nestern brütet und „den kompliziertesten Job am Rhein“ hat, wie Balmes meint. Warum? „Sie fängt Libellen, und zwar im Flug.“ Lediglich von Mai bis August ist sie zu Besuch, dann macht sie sich auf nach Afrika, „und dass sie eine so lange Reise unternimmt, nur um bei uns ein paar Libellen zu verdrücken, das fasziniert mich“.

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„Der Rhein. Biographie eines Flusses“ heißt der 500 Seiten starke Band, der ebenso Reisebericht wie Kulturgeschichte, Naturbetrachtung und Tagebuch ist, geographische Erkundung und Schwärmerei. Balmes hat den Rhein zumeist mit seiner Frau Maria bereist, erkundet und erwandert. Und wenn sie sich vom Ufer aufs Wasser gewagt haben, dann in einem Faltboot, durch dessen dünne Außenwände sie das Fließen des Rheins spürten. Man könnte sogar sagen, Balmes hat den Rhein in sich aufgenommen. Er nahm beim Schwimmen immer mal wieder einen Schluck, und er taxierte jeden wie einen Wein: An den Quellen habe er das Aroma eines im Wollhandschuh geschmolzenen Schneeballs, bei Walluf schmecke er säuerlich wie Gerbstoffe im Leder.

Balmes arbeitet als Lektor und Übersetzer, zu seinen Hausheiligen gehört der britische Schriftsteller John Berger, der den Dingen mit warmherziger und liebender Bekümmertheit auf den Grund zu gehen versuchte. Und im Rucksack führte Balmes Rhein-Zeichnungen von William Turner mit sich, dessen Blick auf den „Rheinfall bei Schaffhausen“ er so beschreibt: „Er sah ein Tosen, das uns taub macht, bis wir in die Stille seiner Farben treten.“ Den Einfluss von Balmes’ Helden spürt man beim Lesen, etwa wenn er die Farben des Rheins beschreibt: „In den Alpen ist er zunächst vor Gischt weiß und sammelt sich in ruhigen Becken zu einem vitriolfarbenen transparenten Schimmern. Im Hochrhein ist er so glasklar, dass die gut getarnten Fische nur an ihrem über den Grund huschenden Schatten zu erkennen sind. Am Oberrhein ist er trübe und braun, klarer dann im Mittelrheintal, wo die Flusssohle aus Stein und Felsbrocken besteht. Erst am Niederrhein wird er seine Transparenz verlieren und sich nur in kiesigen Passagen etwas aufhellen.“

Balmes wandert von den Quellen bis zur Mündung. Wobei er betont, dass sich der Rhein ja gleichsam aus der Mitte entspann. Bergauf sei er gewachsen, vom Kaiserstuhl bis in die Alpen erschloss er sich durch Rückwärtserosion immer neue Zuflüsse. Erst gegen Ende der letzten Eiszeit verbanden sich die Quellflüsse des Vorder- und Hinterrheins mit dem Strom.

Das Buch erzählt von Menschen, die am Rhein leben, von den Winzern etwa, die die Trauben als „Dolmetscher des Bodens“ bezeichnen. Es erzählt Kunstgeschichte, etwa wenn Balmes im Kupferstichkabinett des Städel-Museums sitzt und ein Aquarell von Carl Theodor Reiffenstein aus dem 19. Jahrhundert betrachtet und sich in die Farben versenkt, mit dem der Fluss gestaltet ist: „Der Rhein liegt da in einem türkis unterlegten Phthalo-Blau. Es glitzert auf zu einem Azur, zu einem Schimmer von hellem Blattgrün, das ein dunkleres, stumpferes Delfter Blau verschluckt, um wieder zu hellem Türkis zu werden.“

Aber nicht nur die Schönheit des Stroms wird gepriesen. Balmes entdeckt auch die Gewalt, die der Mensch dem Rhein angetan hat. Schon 800 Meter nach der Quelle werde er umgeleitet, um Turbinen anzutreiben. Sumpfgladiolen und Wassernüsse sind wie so viele andere Pflanzen bereits verschwunden. Im Gespräch nennt Balmes die beiden Koordinaten, zwischen denen seine Erzählung aufgespannt ist. Zwischen der Grube Messel nämlich, in der man Spuren der Mangrovenwälder finden kann, die hier vor 50 Millionen Jahren wucherten. Und der anderen Grube, dem „Slufter“ an der Mündung, in den toxischer Schlamm aus dem Rotterdamer Hafen entsorgt wurde. „Die Natur ist größer als wir“, sagt Balmes. „Wir sollten uns bemühen, das zu erkennen.“

Er möchte den Blick für die Landschaft schärfen. Deshalb holt er dem Leser auch das Kleine in den Blick. Den Himmelsherold etwa, eine Pflanze, die aussieht „wie Vergissmeinnicht, das man ins Tintenfass getunkt hat“. Auf kleinen Berggipfeln, die aus dem Frost ragten, habe sie die Eiszeit überlebt und sei nach 20.000 Jahren dem abschmelzenden Eis in die Täler gefolgt. Balmes’ Lieblingsstelle am Rhein liegt bei Bingen. Dort erlebe man zugleich das Gurgeln und Zischen des wilden Wassers und die Stille und Unbewegtheit der Auenwälder, die eine Vorstellung davon geben, wie es ausgesehen haben mag, als hier noch Diatrymas, zwei Meter messende Laufvögel, lebten.

Der Rhein, sagt Balmes, sei ein lebender Organismus, und es sei unglaublich, wie wandlungsfähig er ist. Man müsse nur mal auf die Weinberge schauen, wenn sie von Schnee bedeckt seien. Wie eine Graphik wirkten sie, geometrisch geradezu. Während sich zum Sommer hin ihr Schiefer purpur einfärbe.

Er habe für sein Buch eine Sprache gewählt, die den Dingen nahekommt, sagt Balmes. Und sein Wunsch sei, dass seine Leser nach der Lektüre ihre eigenen Geschichten vom Rhein erzählten.

Am Ende seiner Rheinreise folgt Balmes dem Flug der Seeschwalben. „Die Vögel verschwinden im Licht. In einem Raum, dessen Koordinaten wir umreißen können, dessen Dimensionen uns aber verschlossen bleiben. Nur der Flug des Vogels scheint ihn zu fassen. Als trüge das kleine Tier das ganze Firmament wie einen Kompass in sich, als schaute die Seeschwalbe mit einem Wissen auf die Erde, das so alt ist wie die Jahrmillionen, in denen sie den Fischschwärmen um den Globus folgt. Unsere Geschichte ist darin nur eine Sekunde.“

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