Nachruf auf Krzysztof Penderecki Klänge von der Himmelsleiter

Krakau · Im Alter von 86 Jahren starb der polnische Komponist und Dirigent Krzysztof Penderecki in Krakau.

 Krzysztof Penderecki am Pult des chinesischen Symphonieorchester.

Krzysztof Penderecki am Pult des chinesischen Symphonieorchester.

Foto: dpa/Diego Azubel

Es scheint eine unüber­brückbare Spanne zwischen dem kleinen Menschen über dem Notenblatt und dem großen Gott dort droben. Trotzdem haben zahllose Komponisten ihr Lebenswerk nicht eher abgeschlossen, bis sie nicht mit großem oder kleinem Aufwand ein geistliches Thema bearbeitet hatten – als Messe, als Requiem, als Kantate, als Oratorium, als raffiniertes Orgelchoralvorspiel, als einfacher Chorsatz oder als sinnenfroher Klotz.

Krzysztof Penderecki hat diese Spanne und deren Überwindung zu seinem Lebenswerk gemacht. Sein Leben als Komponist fand gleichsam fortwährend auf der Himmelsleiter statt, was in keiner Phase unglaubwürdig wirkte; daheim in Polen nannten ihn manche liebevoll-ironisch den frommsten Menschen nach Karol Wojtyla. Penderecki, zeitlebens ein flammender Katholik, arbeitete den Kanon aus Bibel und Liturgie zeitlebens hingebungsvoll ab; seine „Lukas-Passion“ von 1966 ist ein Klassiker, der größten Aufwand betreibt, damit die jahrhundertealte Musikgeschichte den Leidensweg Christi nach Golgotha säumen kann.

Er lädt den gregorianischen Choral ebenso ein wie Zwölftonstrukturen; fette Cluster mit beißenden Dissonanzen wechseln sich mit tonalen Feldern in reinem d-Moll ab. Das Werk ist eine voluminöse Etüde in der allerspäten Nachfolge Bachs; mit dem großen Thomaskantor verband Penderecki die spirituelle Empathie seiner Haltung. Man erlebt ihn als einen Wiedergänger des heiligen Christophorus, der seine Religiosität wie ein Bekenntnis durch die heidnischen Strudel trägt.

Mit der „Lukas-Passion“ drang Penderecki zweifellos in den Tot­raum der Moderne vor. Während die Kollegen noch ihren Standort zwischen Postserialismus und Aleatorik, Mikropolyfonie und Minimal Music, neuer Einfachheit und politischem Bekenntnis suchten, hatte Penderecki sein Navigationsgerät installiert: Es war mit musikalischer Theologie gefüttert. Doch anders als sein französischer Kollege Olivier Messiaen war er nicht am Abstrakten interessiert. Penderecki liebte barocke Bilder, die er mit Musik illustrierte; zwingend verlangte sie nach dem Element des Szenischen. „Grablegung“, „Stabat Mater“, das Hiroshima-Klagelied oder die „Sieben Tore von Jerusalem“ sind andere Werke, in denen die Phantasie der Hörer vielfältig stimuliert wird.

Mit dieser Haltung und mit seiner polystilistischen Schreibweise zog er sich den Zorn der Zunft zog; man witterte bei ihm die Suche nach dem schnellen Effekt; einige neideten ihm auch die Virtuosität seiner Schreibweise, die tatsächlich an die selbstgenügsame Brillanz des späten Richard Strauss erinnert. Penderecki, der übrigens fließend Deutsch sprach, hätte dieser Vergleich geschmeichelt. Er war ja selbst ein Dirigent von hohen Graden, ein ausgefuchster Praktiker, der die Klänge, die er komponierte, genau hörte und dosierte.

Selbstverständlich hat Penderecki auch zahllose Werke jenseits der geistlichen Achse geschrieben. Aufgeführt werden sie nur selten, was bedauerlich ist, denn gerade die frühen Werke mit ihren Versuchen der Klangflächentechnik haben noch heute etwas Exemplarisches. „Anaklasis“ von 1960 für 42 Streicher und sechs Schlagzeuger hat Ligetis „Atmosphères“ die Bahn bereitet. Wie Ligeti wurde Penderecki dann auch von Filmregisseuren umgarnt; in William Friedkins „Der Exorzist“, Stanley Kubricks „Shining“ oder Martin Scorseses „Shutter Island“ schieben sich immer wieder dröhnende, schillernde, verstörende Penderecki-Soundflächen unter die Bilder. Dass er, der komponierende Katholik, ausgerechnet im Horror-Genre willkommen war, verdross ihn nicht, denn die Tantiemen-Zahlungen flossen reichlich.

Jetzt ist Krzysztof Penderecki 86-jährig in Krakau gestorben.

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