Unesco traf Entscheidung in China Unser Limes ist jetzt Weltkulturerbe

Fuzhou · Er ist mit knapp 400 Kilometern das größte lineare Denkmal Europas. Und jetzt auch Weltkulturerbe: Der Niedergermanische Limes, der sich entlang des Rheins durch ganz NRW zieht.

 Besucher im Amphitheater des Archäologischen Parks von Xanten.

Besucher im Amphitheater des Archäologischen Parks von Xanten.

Foto: dpa/Oliver Berg

Er ist eine Art Chinesische Mauer des Niederrheins und seit Dienstag eine weitere Stätte unseres Weltkulturerbes: der sogenannte Limes. Auf seiner 44. Sitzung beschloss dies das Welterbekomitee im chinesischen Fuzhou, wobei es über den von Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und den Niederlanden eingereichten Antrag so gut wie keine Diskussionen gab. Der sogenannte Niedergermanische Limes direkt vor unserer Haustüre ist also zweifelsfrei Welterbe und zugleich das größte lineare Denkmal Europas.

Auch wenn uns der Limes mit den verbliebenen, entdeckten, konservierten Resten der Befestigungsanlagen hier und da begegnet, so bleibt sein antiker Gesamtplan doch staunenswert: Über eine Strecke von knapp 400 Kilometern erstreckte sich damals die Grenze zwischen der römischen Provinz Niedergermaniens und dem freien Germanien – von Katwijk an der Nordseeküste bis nach Bad Hönningen.

Das lateinische Wort „Limes“ heißt zwar Grenze und war unter den Römern auch als solche gedacht; allerdings nicht als eine undurchlässige Abschottung wie das besagte Mauerwerk Chinas. Es gab jede Menge Türme, ein paar Kastelle zwischendurch, Lager und Durchgangslager, natürlich Herbergen, Wall-Gräben und vor allem die „nasse“ Grenze, das war der Rhein. Der Limes war eher eine bewachte Außengrenze zu den germanischen Siedlungen auf dem rechten Rheinufer, eine Art Annäherungshindernis. Doch entlang dieser Grenze florierte über die befestigte Via Romana auch der Handel, der Verkehr, pulsierte das Leben. Der Limes war durchlässig, für Waren, für Menschen, auch für Ideen. Und wo römische Soldaten und ihre Familien lebten, war auch ausreichend Geld im Umlauf.

Etliche hundert Jahre bevor uns das Wort „Infrastruktur“ geläufig und zu einem Zauberwort wurde, gab es das schon am Niederrhein. All das war ein guter Humus für Städtegründungen und regelrechte Metropolen der Antike: „Colonia Claudia Ara Agrippinensium“ gehörte ebenso dazu wie die „Colonia Ulpia Traiana“, die heutigen Nicht-Lateinern geläufiger sein dürften unter den Namen Köln und Xanten, das damals immerhin 20.000 Bewohner zählte. Nach Köln und Trier war Xanten damit immerhin die drittgrößte römische Stadt nördlich der Alpen.

Die römische „Grenze“ war ein Erfolgsmodell: Fast 400 Jahre funktionierte der Limes und war Ausdruck eines immensen römischen Herrschaftsanspruchs. Es bleibt auch heute noch unvorstellbar, welche Ausmaße dieses  Imperium einst besaß. Die größten übrigens unter Kaiser Trajan (er regierte von 98 bis 117 n. Chr.). Rom herrschte damals von Portugal bis Mesopotamien und von Nordafrika im Süden bis nach Schottland im hohen Norden. Und fast mittendrin in diesem gigantischen Reich der niedergermanische Limes mit seinen erhaltenen Zeugnissen. Wie Haus Bürgel  in Monheim, das mit seinem exakt quadratischen Grundriss auffällt. Erbaut wurde der Hof auf den Grundmauern eines römischen Kastells. Die Besonderheit: Die alten Mauern sind noch bis zu einer Höhe von vier Metern erhalten.

Das ist eine Seltenheit, zumal erhebliche Zerstörungen erst lange Zeit nach Abzug der Römer einsetzten. Die rumliegenden behauenen Steine wurden im Mittelalter zum beliebten, weil billigen Baumaterial. Selbst für den Xantener Viktors-Dom wurden Steinblöcke verwendet, die einst die Römer verbaut hatten. Überhaupt Xanten! Das ist eine Art Mekka römischer Hinterlassenschaften mit seinem Archäologischen Park, dem größtenteils erhaltenen Amphitheater, den Thermen, dem riesigen Museum sowie den 27 Meter hohen Säulen des Hafentempels. Die sind zwar eine Rekonstruktion, doch liegen die echten Fundamente geschützt unter dem Sockel. Wie so Vieles in Xanten. Das ist das Schicksal für interessierte Besucher und der Glücksfall für Archäologen: dass nämlich die allermeisten Spuren römischen Lebens entlang des niedergermanischen Limes unter der Erde liegen und somit maximal geschützt sind. Wer sie ausgräbt, zerstört sie, sagen die Wissenschaftler. Erforscht werden diese Stätten darum nicht mehr mit Schaufel und Hacke, sondern mit Geomagnetik.

So überschaubar das niedergermanische Herrschaftsgebiet für das ganze Imperium vielleicht gewesen ist, so entschied sich hier doch Weltbewegendes: für Rom und Germanien. Wiederum gibt Xanten darauf einen Hinweis. Dort wurde ein Grabstein entdeckt für den Centurio der XVIII. Legion, Marcus Caelius. Und er trug die in Stein gemeißelte Botschaft, dass der Soldat „im Krieg des Varus“ gefallen war.

So wurde der Stein zur wichtigen Quelle für die Forschung über ein sagenumwobenes Gemetzel im Jahre 9 n. Christi.

Der römische Feldherr Publius Quinctilius Varus marschierte trotz Warnungen zu sorglos mit seinen Soldaten ins Winterlager. Und geriet dabei prompt in einen Hinterhalt der Germanen unter Führung des Arminius. Drei Tage soll in der Nähe des heutigen Kalkriese die Schlacht gedauert haben, bei dem die 17., 18. und 19. Legion vernichtet und bis zu 20.000 Römer getötet wurden. Die Varusschlacht markiert zugleich einen historisch bedeutsamen Wendepunkt. Denn nach der verheerenden Niederlage finden die römischen Eroberungszüge weitgehend ein Ende, hat das riesige Reich seine Grenzen gefunden. Nicht ohne Grund soll Kaiser Augustus nach der unfrohen Kunde aus der Provinz ausgerufen haben: „Varus, Varus, gib mir meine Legionen zurück.“

Auf der anderen Seite wurde der siegreiche Cheruskerfürst Arminius als Hermann später zum Symbol eines deutschtümelnden Nationalismus. Es war Heinrich Heine, der solche Aufladungen 1844 fröhlich spöttisch mit seinen Versen ins rechte Licht rückte: „Das ist der Teutoburger Wald,/Den Tacitus beschrieben,/Das ist der klassische Morast,/Wo Varus stecken geblieben./Hier schlug ihn der Cheruskerfürst,/Der Hermann, der edle Recke;/Die deutsche Nationalität,/Die siegte in diesem Drecke.“

Es gibt viel zu erzählen rund um unseren alten Limes und das neue Weltkulturerbe.

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