Literaturnobelpreis Der missliebige Nobelpreisträger

Stockholm · Peter Handke ist in Stockholm geehrt worden. Doch es hagelte Kritik für den Autor und seine Nähe zu Serbien im Jugoslawien-Konflikt.

 König Carl  Gustaf von Schweden überreicht in Stockholm den Literaturnobelpreis an Peter Handke.  Foto: Jonas Ekstromer, AP

König Carl Gustaf von Schweden überreicht in Stockholm den Literaturnobelpreis an Peter Handke. Foto: Jonas Ekstromer, AP

Foto: AP/Jonas Ekstromer/TT

Als sei die Schmähung Peter Handkes zum Volkssport geworden, machte gestern kurz vor der Verleihung des Literaturnobelpreises noch der türkische Präsident Recep Tayyib Erdogan mit: Eine „rassistische Person“ nannte er den Autor und verlieh so den erregten Debatten für einen kurzen Augenblick eine skurrile Note.

Es gibt Kritiker mit größerer Integrität wie beispielsweise die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte. Die Ehrung in Stockholm, die mit dem Todestag von Alfred Nobel auch noch mit dem Tag der Menschenrechte zusammenfällt, ist nach den Worten der Gesellschaft schlichtweg „skandalös“. Für sie wird der „Leugner schwerster Kriegsverbrechen Serbiens“ ausgezeichnet und die Preisverleihung somit zu „einer Verhöhnung der Opfer von Verbrechen gegen die Menschlichkeit“.

Für solche Aburteilungen gibt es Gründe, alle sind hinlänglich bekannt. Dass sich Handke im Jugoslawien-Krieg bedingungs- und kritiklos an die Seite Serbiens stellte, dass er im März 2006 zur Beerdigung von Slobodan Miloševic reiste und im ehemaligen serbischen Präsidenten, der auch vor dem Kriegsverbrechertribunal stand, eine tragische Figur zu erkennen glaubte. Dass er dort auch das Wort ergriff und sagte, er selbst sei zwar nicht im Besitz der Wahrheit, aber doch nah an Jugoslawien, „nah an Serbien, nah an Slobodan Miloševic“. Handke hat auch Radovan Karadžic im Gefängnis besucht, der als Haupttäter beim Massaker von Sebrenica gilt. Er hat mit ihm Pflaumenschnaps getrunken und Bücher getauscht. Und begründet hat Peter Handke dann sehr vieles mit der slowenischen Herkunft seiner Mutter.

Seit der Bekanntgabe des weltweit wichtigsten Literaturpreises an den 77-jährigen Österreicher vor zwei Monaten haben die Proteste gegen ihn keineswegs nachgelassen; sie legten eher zu. Das hat auch mit seinem Auftritt jetzt in Stockholm zu tun. Hatten einige geglaubt oder doch wenigstens gehofft, Handke werde sich erklären, möglicherweise entschuldigen, gar korrigieren oder ein Wort an die bosnischen Opfer richten, der wurde enttäuscht. In seiner Nobelvorlesung in der Schwedischen Akademie, die für jeden Preisträger obligat ist, hatte er sich auf sein fast 40 Jahre altes dramatisches Gedicht „Über die Dörfer“ konzentriert. Das ist ein Text über das Ende eines vormals dörflichen Lebens, über einen Erbschaftskonflikt unter Geschwistern, über die Einigung. Und dann fällt schließlich ein kleiner Satz aus dem Text, dem in Stockholm bleischwere Bedeutung zugesprochen wird: „Der ewige Friede ist möglich.“

Kein Wort aber zum Jugoslawien-Krieg, kein Satz über Täter und Opfer. Und als er von Journalisten darauf später angesprochen wurde, reagierte er barsch. Ob er seine Meinung geändert habe? Darauf Handke: „Ich schreibe nicht mit Meinungen. Ich habe niemals eine Meinung gehabt, ich hasse Meinungen.“

Peter Handke hatte in Stockholm eine große Chance. Er hat sie ungenutzt gelassen. Wobei es vergleichsweise leicht zu sein schien, Worte zu finden, die wenigstens Anteilnahme erkennen ließen oder Verständnis für die Fassungslosigkeit jener Menschen, die serbischem Terror ausgesetzt gewesen sind. Doch dieser Einwand ist zu diplomatisch gedacht, als gehe es vor allem um eine moralische Position. Dass Handke auch dazu in Stockholm offenkundig weder fähig noch willens war und er sogar in Kauf genommen hat, permanent kritisiert zu werden und noch am Abend der Preisverleihung mit Demonstrationen gegen ihn konfrontiert zu werden, dokumentiert, wie sehr er den Mythos vom serbischen Volk zum Teil seiner Herkunfts- und Identitätsgeschichte schuf. Er hat sie sich erträumt und erschrieben. Man ahnt, dass für ihn jede Leugnung der Einsturz eines Kartenhauses wäre, das er mit Heimat gleichsetzt. Entschuldigen lässt sich sein Verhalten freilich nicht: seine öffentlichen Solidaritätsbekundungen zu Kriegstreibern und -verbrechern, sein Rückzug hinter dem Schutzwall eines poetischen, also absichtslosen Werks.

Das ist weder harmlos noch dazu geeignet, Handke, dem scheinbar Unpolitischen, künstlerische Freiheit zuzubilligen. So ist der Literaturnobelpreis 2019 für rechtsradikale serbische Nationalisten eine Bestätigung ihrer Haltung und eine Ermutigung, ihre Ziele weiterzuverfolgen. Ausgerechnet mit dem Festakt zu Stockholm können jene sich im Recht wähnen

Es war das deutsche PEN-Zentrum, das zur Preisverleihung an die „Pflicht“ eines Schriftstellers erinnerte, sich nämlich „der Sprache der Despoten zu verweigern - ob gegenüber den Verbrechen gegen die Menschlichkeit im nationalsozialistischen Deutschland, den schweren Verletzungen des Humanitären Völkerrechts in den Jugoslawien-Kriegen oder den Menschenrechtsverletzungen heute in Eritrea und in der Türkei“.

Wie wichtig es ist, darüber zu reden; doch wie unbegreiflich auch, dass es nötig ist.

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