Bonn Der märchenhafte Leibniz-Preis

Bonn · Elf Wissenschaftler erhalten heute Deutschlands wichtigsten Forschungspreis. Gunther Hartmann ist einer von ihnen, er erforscht seit 15 Jahren den Umgang des Immunsystems mit Krankheiten. Er sieht gute Bedingungen für Forschung, aber sorgt sich um die Nachwuchsförderung.

Gunther Hartmann muss nicht lange überlegen, wie er das Preisgeld verwenden will. Mit 1,25 Millionen Euro belohnt die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) herausragende Wissenschaftler – das ist mehr, als Nobelpreisträger bekommen. "Ich werde damit junge Nachwuchsforscher auf dem Weg in die Unabhängigkeit unterstützen", sagt der Medizin-Professor aus Bonn. Im Klartext: Er wird neue Stellen einrichten.

Heute erhält Gunther Hartmann für seine Forschung zum menschlichen Immunsystem den Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Preis der DFG, auch "deutscher Nobelpreis" genannt. Von zehn Auszeichnungen geht nur eine nach NRW. Er teilt sich das Preisgeld von 2,5 Millionen Euro mit seinem Bonner Kollegen Christian Kurts.

Mit 45 Jahren ist Gunther Hartmann in der Wissenschaft selbst noch jung, trotzdem ist ihm Nachwuchsförderung wichtig. "Die Bedingungen für Forschung in Deutschland haben sich in den letzten Jahren wesentlich verbessert", sagt er, "aber für junge Forscher ist eine wissenschaftliche Karriere mit hohen Risiken verbunden". Die sind vor allem wirtschaftlicher Natur: Selbst wenn die Nachwuchsforscher wissenschaftlich erfolgreich sind, können nicht alle ihr Ziel erreichen – eine Professorenstelle. "Es gibt zu wenig freie Stellen", benennt Hartmann die Probleme. Zudem sei "die Besoldung unattraktiv". Traurige Konsequenz: Mancher talentierte Forscher gibt auf.

Die Leibniz-Preisträger sind alle etwa in der Altersklasse von Gunther Hartmann. Der Preis verlangt, dass die Empfänger deutlich jünger sind als das Durchschnittsalter der etablierten Vertreter ihres Fachgebiets. Sie zeigen, dass eine jüngere Generation mit modernen Themen in Deutschland wieder Spitzenleistungen erbringen kann. Einige der Forschungsgebiete sind komplett neu – wahre Pioniere. Das hohe Preisgeld und vor allem dessen unbürokratische Verwendung soll dieser neuen Elite "wahrlich märchenhafte Freiheit" geben, wie es der ehemalige DFG-Präsident Hubert Markl einmal formulierte.

Seit 15 Jahren erforscht Hartmann die Immunabwehr des Menschen. 2005 wechselte der in Ulm und München ausgebildete Mediziner an die Uni Bonn. "Das ist eine sehr junge, dynamische Medizinische Fakultät", lobt er sein Arbeitsumfeld. Bei der Immunforschung gehört Deutschland – vor allem durch den Standort Bonn – weltweit zur Spitze. Hartmann und Kurts tragen daran großen Anteil.

1996 entdeckte Hartmann, dass eine bestimmte Substanzgruppe (kurzkettige DNA-Oligonukleotide mit bestimmten Sequenzmotiven) die Abwehrreaktionen des Immunsystems gegen Nukleinsäuren stimuliert. Später identifizierte er die dafür zuständigen Immunzellen und konnte den komplizierten Mechanismus dieser Stimulation beschreiben. Vereinfacht formuliert: Diese Substanzen helfen dem Immunsystem eine Art Schwelle zu überwinden, damit es effektiv Gefahren abwenden kann. Bei Krebs wird das Immunsystem durch den Tumor regelmäßig unterdrückt und damit untätig oder verlangsamt.

Hartmanns wissenschaftliche Beiträge sind in die klinische Entwicklung dieser neuen Substanzklasse eingegangen. Im Krankenhaus werden die DNA-Oligonukleotide in klinischen Studien eingesetzt, um das Immunsystem zu unterstützen. Längst haben Pharmafirmen die medizinische Einführung übernommen. "Es gibt schon mehr als 150 Studien mit diesen Substanzen", sagt Hartmann – und blickt positiv nach vorn. Derzeit arbeitet sein Team an einer neuen Substanzgruppe, die einen ähnlichen Effekt ausnutzt.

Der Immunologe Christian Kurts, der zweite NRW-Preisträger, arbeitet seit 2003 am Rhein. Der 47-Jährige hat Mechanismen der Immunabwehr aufgeklärt und untersucht derzeit die Kommunikation zwischen Immunzellen bei verschiedenen Erkrankungen.

(RP)
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