Düsseldorf Der letzte Tanz des schönen Schwans

Düsseldorf · Die 29-jährige Natalie Portman gibt in dem düsteren Thriller "The Black Swan" die beste Vorstellung ihrer Karriere. Sie spielt eine Primaballerina, die in einer Inszenierung des Balletts "Schwanensee" die Rolle des weißen und des schwarzen Schwans übernimmt. Morgen kommt der Film ins Kino.

Am Ende tanzt sie in einem weißen Tütü auf der Bühne, und das Dunkel um sie herum wird immer schwärzer. An den Stellen, wo bei Engeln die Flügel aus dem Rücken wachsen, hat sie Wunden, sie blutet, auch aus den Fingern kommt das Blut, sie muss oft bluten in diesem Film, eine richtige Blutlust ist das. Unter der dünnen Haut sieht man Knochen hervorragen, spitz wie die Latten im Jägerzaun. Die Tontechniker verstärken die Lautstärke jedes Schritts auf den dick bandagierten Fußspitzen, man hört die Gelenke ächzen und knacken, das ist der Schmerz, und Tanzen ist Kämpfen. Und dann springt sie, es ist der letzte Sprung, und sie landet, über ihr brandet Applaus, Düsternis hüllt sie ein, die Pupillen der braunen Augen röten sich, und da liegt sie nun. Blutend und glücklich.

"The Black Swan" von Darren Aronofsky ist ein extremes Werk, in jeder Beziehung, es nimmt einen ein, man beschäftigt sich noch lange nach dem Abspann mit dieser Produktion. Natalie Portman (29) spielt eine Ballerina, die in der "Schwanensee"-Inszenierung ihrer New Yorker Compagnie die doppelte Hauptrolle des weißen und des schwarzen Schwans tanzen möchte. Den weißen Schwan, das kann Nina, das ist sie, diszipliniert, unschuldig und rein. Für das Pendant fehlt ihr jedoch das Abgründige, das Lehrjahr in Sodom, der Wochenend-Ausflug nach Gomorrha. Also stellt der Ballettmeister Thomas, den Vincent Cassel mit einer zum Schütteln bösen Schmierigkeit überzieht, Bedingungen: Lass dich gehen! Sei wollüstig! Wälz dich mal im Sündenpfuhl! Daran hält sich Nina, sie versucht es zumindest, Thomas leistet gern Hilfestellung, er grinst und leckt sich die Lippen, und schließlich bekommt sie beide Rollen. Trotzdem hält Thomas eine andere Tänzerin als Alternative in der Hinterhand, als Mahnung: Lily (Mila Kunis) ist tätowiert, sie trinkt, und das Wort Gosse klingt für sie nicht ausschließlich abstoßend.

Die Handkamera, mit der Aronofsky filmt, folgt Nina nun wie ein Stalker seinem Opfer, er lässt sie nicht aus dem Blick. Und sie schaut ja auch so verschreckt, alles ist Bedrohung: die gewaltige Aufgabe, Thomas, Lily. Was als Ballettfilm begann, als Studie über Disziplin, die Überwindung des Widerwillens und die Ästhetik des Tanzes, wird allmählich zum Horrorthriller, einer Mischung aus "Die roten Schuhe" und "Carrie". Nina kratzt sich, schneidet und zwackt ständig ihre Nägel, sie zieht Haut in Streifen von den Fingern, ihre Zehen wachsen zusammen, und der Zuschauer weiß nicht, ob das wirklich passiert oder ob Nina träumt. Manchmal wacht Nina auf, aber das ist kein Trost, die Wirklichkeit bringt keine Linderung. Der Extremist Aronofsky treibt seine Hauptfigur immer tiefer in die Finsternis.

Nina lebt allein mit der hysterischen Mutter (Barbara Hershey), die ihre eigene Tanzkarriere nach der Geburt der Tochter beenden musste. Daheim, das ist ein enges Zimmer, in dem Kuscheltiere wie Gefängnis-Aufseher das Bett bewachen und aus einer Spieluhr das Thema aus "Schwanensee" dringt, als sei es das Lied vom Tod, wo pinker Plüsch die Träume stumpf macht und die Mama hinter einer dünnen Wand wacht.

US-Regisseur Daronofsky zieht die Fäden wie der böse Magier, der in Tschaikowskys "Schwanensee" die beiden Schwäne kontrolliert. Er ist eiskalt, er schickt seine Hauptfigur in einen aussichtslosen Kampf gegen innere Dämonen und Übersinnlichkeit, er setzt ihrer Seele und ihrem Körper zu. Er bedient sich aus Trash, Hochkultur und Kinohistorie, bei E.T.A. Hoffmann ebenso wie bei Stephen King, er mischt Kitsch und Stil. Und wie in seinem Vorgängerfilm "The Wrestler", als er Mickey Rourke aus der Tiefkühltruhe holte, ihn sich selbst spielen ließ – den abgehalfterten Star – und gleich das Comeback in die Story einarbeitete, das Rourke mit "The Wrestler" gelang, spielt Aronofsky hier mit dem Image von Natalie Portman. Vor "The Black Swan" war sie die kluge, verbissen arbeitende und etwas langweilige Schönheit, die Kumpel-Elfe von Wolke sieben, nun erkundet sie das Werwölfisch-Luziferische und gewinnt damit gleich den Golden Globe.

Man kann viel einwenden gegen den suggestiven und beklemmenden Film, etwa dass er kein Klischee über die Arbeit in einer Compagnie auslässt, auf allzu deutliche Symbole setzt und die populärpsychologisch leicht auszudeutende Spiegel-Metaphorik bis zum Überdruss bemüht. Wer indes Freuds "Traumdeutung" zuhause lässt, dürfte einen intensiven Kinoabend vor sich haben. "The Black Swan" ist so etwas wie eine dem Zauberhaften zugeneigte Variation von "The Wrestler", eine romantische Fortsetzung. Die Ausstattung übernahmen die Mulleavy-Schwestern, die das kalifornische Modelabel Rodarte gründeten, und auch deshalb ist der farblich allmählich von Weiß zu Rosa, zu Rot und letztlich Schwarz fließende "The Black Swan" trotz Gewalt und Versehrungen ein schönes Erlebnis.

Am Ende steht wie bei "The Wrestler" ein Sprung. Ein geschundener Leib bäumt sich auf. Er ahnt: Es ist das letzte Mal. Vielleicht ist er danach frei. Wer weiß.

(RP)
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