Der Krimi um Holbeins Madonna

Die "Darmstädter Madonna" Hans Holbeins des Jüngeren, die der Unternehmer Reinhold Würth jetzt erwarb, stand lange unter Fälschungsverdacht. Bis sich das "Original" in Dresdens Gemäldegalerie als Fälschung erwies. Eine von vielen Geschichten um das kostbare Bild.

Frankfurt/M. Vor acht Jahren schon wurde bekannt, dass sich das Adelshaus Hessen vom kostbarsten Bild, das sich in seinem Besitz befand, trennen wollte. Jetzt ging alles ganz schnell: Der schwäbische Großindustrielle und Kunstsammler Reinhold Würth erwarb die "Schutzmantelmadonna" Hans Holbeins des Jüngeren zu einem ungenannten Preis, der sich Schätzungen zufolge auf rund 50 Millionen Euro belaufen soll. Welche Bedeutung das Gemälde hat, warum es nicht sogar 110 Millionen Euro erbrachte und wie es in den Besitz der Hessen gelangte – dies und mehr erklären wir hier.

Warum ist das Gemälde so bedeutend?

Die "Schutzmantelmadonna", nach ihrem früheren Standort auch "Darmstädter Madonna" oder aber "Madonna des Bürgermeisters Meyer" genannt, ist ein 1,50 mal einen Meter messendes Gemälde Hans Holbeins des Jüngeren (1497–1543). Es entstand 1526–28 in Basel und zeigt den dortigen Bürgermeister Jakob Meyer zum Hasen, seine verstorbenen Söhne, seine gleichfalls verstorbene erste Ehefrau, seine zweite sowie sein einziges lebendes Kind andächtig zu Füßen der Madonna versammelt. Der Bürgermeister selbst hatte für seine Privatkapelle den Auftrag zu diesem Bild erteilt, vermutlich um sich während der seinerzeit in Basel erstarkenden Reformation zu seinem Katholikentum zu bekennen. Hans Holbein der Jüngere zählt zu den bedeutendsten Malern seiner Zeit; seine Schutzmantelmadonna gilt manchen als das schönste Altmeistergemälde der Welt. Schon in diesem frühen Werk besticht Holbein durch seine Kunst, Gesichter unverwechselbar werden zu lassen; sittenstrenge, glaubensfeste und darin auch selbstbewusste Menschen zwischen Spätgotik und Renaissance.

Wenn die Schutzmantelmadonna so schön und bedeutend ist – warum hat das Haus Hessen sie dann verkauft?

Schon seit 2003 war bekannt, dass die Hessische Hausstiftung – eine Stiftung des Hauses Hessen, dem die früheren Landgrafen und Großherzöge von Hessen entstammten – das Bild veräußern wollte, um damit Erbschaftsssteuer zu zahlen. Damals munkelte man, das Getty-Museum in Los Angeles biete 110 Millionen Euro. Doch die Amerikaner hatten von vornherein keine Chance. Denn das Werk zählt zum nationalen Kulturgut Deutschlands, und das bedeutet unweigerlich: Ausfuhr verboten. Deshalb sah sich die Hausstiftung nach einem deutschen Käufer um – und fand ihn jetzt in Reinhold Würth.

Wie gelangten die Hessen in den Besitz des Bildes?

Nach dem Tod Jakob Meyers blieb das Gemälde bis 1606 in Familienbesitz. Es geriet in die Hände eines Kunsthändlers, der das Bild kopieren ließ. Er verkaufte das Original an einen Amsterdamer Bankier, die Fälschung an einen anderen Amsterdamer Bankier. 1743 erwarb König August III. von Sachsen und Polen ahnungslos die Fälschung und hängte sie unter dem Titel "Holbeinsche Madonna" in die Dresdner Gemäldegalerie. Das Original dagegen gelangte über mehrere Stationen an Prinz Wilhelm von Preußen, der es seiner Ehefrau, Prinzessin Marianne von Hessen-Homburg, zum Geburtstag schenkte. Die Schutzmantelmadonna hing dann zunächst im Berliner Stadtschloss, bis sie Mitte des 19. Jahrhunderts nach Darmstadt überführt wurde, nachdem die Großherzöge von Hessen und bei Rhein das Bild geerbt hatten. Nach einer Zeit der Auslagerung während des Zweiten Weltkriegs wurde das Gemälde nach Darmstadt zurückgeholt. Bereits im 19. Jahrhundert war ein Streit darüber entbrannt, welche der beiden Fassungen echt sei. Das Dresdner Gemälde galt unter Kunstliebhabern lange als das schönere – bis Kunsthistoriker sie davon zu überzeugen suchten, dass das Original in Darmstadt hängt. Röntgen- und Infrarot-Untersuchungen bestätigten später den Befund. Am Rande: 1967 zierte eine Reproduktion der Dresdner Kopie die Privaträume des Schurken Blofeld im Film "James Bond 007 – Man lebt nur zweimal".

Wer ist der Mann, der den Hessen jetzt die Darmstädter Fassung abkaufte?

Der schwäbische Großindustrielle Reinhold Würth gilt als Deutschlands Schraubenkönig. Er baute das Schrauben-Handelsunternehmen Würth mit heute rund 60 000 Mitarbeitern zum internationalen Marktführer in der Befestigungs- und Montagetechnik auf. Nebenher sammelt er Kunst. Dabei setzt er eher auf Namen wie Emil Nolde, René Magritte und Georg Baselitz, als dass er den Blick auf abseitige, noch unbekannte Kunst richtete. Er gründete mehr als ein Dutzend Museen, darunter die Kunsthalle Würth in Schwäbisch Hall. Der bis 2008 gute Name Würth wurde durch Steuerermittlungen überschattet. Ein Verfahren wegen Steuerhinterziehung wurde gegen eine Geldstrafe eingestellt. Seitdem gilt der Großindustrielle als vorbestraft.

Wo wird die Schutzmantelmadonna künftig zu sehen sein?

Zuletzt hing das Werk im Frankfurter Städel-Museum, wohin es 2003 von Darmstadt aus als Dauerleihgabe gebracht worden war, weil die Hessen das Städel als "hessische Staatsgalerie" betrachteten. Kunstsammler Würth plant, das Gemälde in der Johanniterhalle in Schwäbisch Hall auszustellen. Auch die gehört ihm.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort