Klassik „Ich kenne es ja nicht anders“

Salzburg · Felix Klieser wurde 1991 ohne Arme geboren. Trotzdem ist er mittlerweile einer der bedeutendsten Hornisten. Seine neue CD mit den vier Konzerten von Wolfgang Amadeus Mozart ist eine Sensation. Im Mai kommt er nach Düsseldorf.

 Hornist Felix Klieser spielt mit den Zehen des linken Fußes. Den Metallständer für sein Horn hat ein Instrumentenbauer konstruiert.

Hornist Felix Klieser spielt mit den Zehen des linken Fußes. Den Metallständer für sein Horn hat ein Instrumentenbauer konstruiert.

Foto: MAIKE HELBIG

Das Horn ist ein kompliziertes Instrument. Schon zu Johann Sebastian Bachs Zeiten litten die Musiker unter erheblichen Problemen. Damals hatten sie noch keine Ventile, nur Löcher im Instrument, also mussten sie jeden Ton mit dem Ansatz und auf der sogenannten Naturtonreihe formen. Ein Stück in Fis-Dur auf dem Horn wäre damals unmöglich gewesen.

Aber auch heute hört man immer wieder, dass die besten Hornisten einen sogenannten Kiekser produzieren. Das klingt immer wie abgerutscht, ist aber nicht dramatisch. Das Horn ist eben ein Hochwiderstandsinstrument, anders als die Posaune. Der Musiker muss Luft mit einigem Druck durch eine enge Bohrung in ein Instrument mit Windungen von der Länge eines Schlauchs blasen, und da geht schon mal etwas schief. Außerdem ist dieses Spielen auf Dauer anstrengend, weswegen manche Orchester in ihrer Horngruppe – etwa auf einer Tournee – einen sogenannten Bumper mitnehmen. Das ist eine Art Ersatzmann, ein Assistent, der dem Solo-Hornisten eine Reihe leichter, aber lästiger Töne abnimmt, damit der solchermaßen Geschonte für die wichtigen Momente auf seinem Horn genügend Reserven hat.

Für Felix Klieser scheint das Horn auf den ersten Blick ein doppeltes, ach was: ein vielfaches Handicap zu sein. Der Musiker wurde 1991 in Göttingen ohne Arme geboren, eine Störung, die man in der Medizin Dysmelie nennt. Eine fachliche Erklärung gebe es in seinem Fall nicht, solche Fälle gebe es halt. Er selbst nennt seine Behinderung im Gespräch mit unserer Redaktion „eine Laune der Natur, an die ich mich gewöhnt habe“. Natürlich könne er gewisse Spieltechniken nicht anwenden, etwa die sogenannte Stopftechnik mit der Hand im Schalltrichter. „Das kompensiere ich jetzt aber mit dem Ansatz.“

Wir kennen das historisch begrenzte Phänomen des einarmigen Pianisten, der im Ersten Weltkrieg eine Verletzung erlitten hatte, die seine manuellen Kompetenzen gleichsam halbierte. Daraufhin wurden etliche Klavierwerke für die linke Hand allein komponiert. Bei Klieser war das anders, er musste nicht umlernen, denn nie war er das Normale gewöhnt. Trotzdem hatte er bereits mit vier Jahren verkündet: „Ich möchte Horn spielen!“ Die Eltern waren irritiert, daheim musizierte niemand, und es ging auch niemand auf die Jagd oder feierte Hubertus-Messen. Und wie sollte das rein anatomisch überhaupt klappen? Aber Felix bekam sein Horn und lernte, die Ventile mit den Zehen des linken Fußes zu bedienen. Ein Instrumentenbauer konstruierte ihm einen Metallständer, an dem das Horn befestigt ist.

Das Kind war enorm begabt, gewann etliche Preise, unter anderem bei „Jugend musiziert“, wurde als 13-Jähriger Jungstudent an der Musikhochschule Hannover, kam ins Bundesjugendorchester – und jetzt macht Klieser Karriere.

Deren Krönung ist eine neue CD mit sämtlichen Hornkonzerten von Wolfgang Amadeus Mozart. Die Aufnahme darf als Lackmus-Test gelten: Wie gut ist er wirklich? Die Antwort: Er spielt überragend. Die Töne sind rund, elastisch, nuanciert, die dynamische Skala ist weit und edel, nichts detoniert, nichts scheppert, nichts klingt verhaucht, dazu besticht eine fabelhafte Geläufigkeit. Die Camerata Salzburg macht ihrem Genius loci gleichfalls alle Ehre. Man musiziert völlig befreit miteinander, charmant und aufrichtig. Letztlich ist das eine Form gehobener Konversation unter Ehrenleuten, trotzdem gehen sie ab und zu dermaßen Richtung Parforce, dass der Wald brennt. Herrlich.

Für Klieser war Mozart gleichwohl die bislang anspruchsvolle Aufgabe, er hat sich ihr mit Weitsicht gestellt: „Zwischen Trauer und Freude liegt in dieser Musik manchmal nur ein halber Takt. All diese Feinheiten herauszuarbeiten war vielleicht die größte Herausforderung dieser Aufnahme. Ich habe mir bewusst Zeit gelassen, um über Jahre jedes winzige Detail dieser fantastischen Musik kennenzulernen.“

Wer Felix Klieser beim Musizieren zuschaut, vergisst irgendwann seine Irritation durch das Ungewohnte. Der Hornist hat aber keine Probleme damit, dass ihn die Leute auf sein Handicap ansprechen. Er sieht es sportlich: „Für mich ist dieses Spielen das Normalste von der Welt, ich kenne es ja nicht anders.“ Sportlich sind allenfalls die Verrenkungen, die sein Körper unternehmen muss, damit die Zehen überhaupt an die Ventile kommen.

„Ich bin aber nicht nur gern Solist, etwa in den Konzerten von Haydn, Mozart oder Strauss, ich mache auch gern Kammermusik“, sagt Felix Klieser. Das können die Musikfreunde hierzulande miterleben: Am 25. Mai gastiert er in der Düsseldorfer Tonhalle zur Eröffnung des Schumannfestes: Mit dem Geiger Andrej Bielow, dem Pianisten Herbert Schuch und der Sopranistin Sheva Tehoval bietet er Werke von Clara und Robert Schumann, Johannes Brahms, Franz Schubert und der Französin Melanie Bonis, die in ihren „Waldszenen“ einen zentralen Bestimmungsort des Waldhorns heraufbeschwört.

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