Berlin Der große Schinkel in Berlin

Berlin · Karl Friedrich Schinkel war einer der bekanntesten Architekten des 19. Jahrhunderts und der bedeutendste Baumeister Preußens. Das Kupferstichkabinett widmet ihm in Berlin, dessen Mitte geprägt ist von seinen Bauten, eine Ausstellung, die sein gesamtes Wirken zeigen will.

Vor 200 Jahren, im September 1812, brannte das von Napoleons Soldaten besetzte Moskau. Es war der Anfang vom Ende des französischen Russlandfeldzuges, die Grande Armée musste sich bald zurückziehen. Zur selben Zeit war der junge Familienvater Karl Friedrich Schinkel in Berlin auf der Suche nach Geldquellen. Er hatte nach einem Kurzstudium der Architektur bei einer Reise nach Italien und Frankreich die Krönung Napoleons in Paris erlebt. Jetzt gab ihm das "Optisch-Mechanische Theater" den willkommenen Auftrag, ein Schaubild von Moskaus Flammeninferno anzufertigen. Die Inszenierung mit beweglichen Elementen und dramatischer Musik avancierte in der bildarmen Welt schnell zum Publikumsschlager — Schinkel, der später zum Baumeister Preußens und zu einem der einflussreichsten Architekten des 19. Jahrhunderts werden sollte, erreichte so über Nacht Prominentenstatus.

Alle 15 Minuten wird jetzt dem "Brand von Moskau" wieder Leben eingehaucht. Im Gebäude des Kulturforums, dessen verblockte, weiß-kalte Fassade Schinkel selbst wohl nicht sonderlich gemocht hätte, präsentiert das Berliner Kupferstichkabinett in der Ausstellung "Schinkel. Geschichte & Poesie" einen Nachbau des Schaubildes.

Die Installation ist einer der Höhepunkte der bisher größten Schinkel-Ausstellung. Die Kuratoren Heinrich Schulze Altcappenberg und Rolf H. Johannsen wollen mit ihr das gesamte Wirken Schinkels abbilden und alles über ihn erzählen. Rund 300 Exponate sind in der Ausstellung zu sehen: persönliche Gegenstände, Zeichnungen, Gemälde, Portraits, Baupläne bis hin zu Skizzen für Möbel. Schinkel als Familienvater, als Freund, als Student, als Hofarchitekt Preußens und als begnadeter Zeichner, Schinkel als Designer, Maler, Lehrer, Bühnenbildner und als Utopist. Dem universalen Anspruch wird die Schau gerecht — zumindest fast.

Wer heute in Berlins Mitte spazieren geht, findet gleich mehrere prominente Schinkel-Werke. Das Schauspielhaus am Gendarmenmarkt, die Neue Wache an der Prachtstraße Unter den Linden und das Alte Museum mit dem dazugehörigen Lustgarten sowie die Sing- und die Bauakademie gehören zu den bekanntesten Bauwerken. Sie zeugen von Schinkels Vergangenheit in Berlin und seinem engen Verhältnis zum Preußischen Hof.

Ab 1815 verwirklichte der Autodidakt diese Bauten im Auftrag von Friedrich Wilhelm III. und seinem Sohn, dem Kronprinzen Friedrich Wilhelm IV. Als Geheimer Oberbauassessor bei der Berliner Oberbaudeputation und als deren späterer Leiter gingen alle Bauvorhaben ab einem bestimmten Volumen über Schinkels Schreibtisch. Die Politik Preußens war fortan nicht mehr aus Schinkels Schaffen herauszudenken. Der Architekt selbst war glühender Patriot. Dass Schinkel indes sowohl von der deutschen Nationalbewegung und von der DDR-Herrschaft instrumentalisiert wurde, bleibt allerdings unerwähnt; die Wirkung des Künstlers über dessen Lebzeiten hinaus kommt zu kurz.

Leider nicht so sehr ein gewisser Geniekult um seine Person. Der besteht auch in dem Mantra, Schinkel habe sich überarbeitet. Im Alter von 60 Jahren stirbt er an den Folgen mehrerer Schlaganfälle. Rolf H. Johannsen vom Kupferstichkabinett nennt ihn einen humorvollen, liebenden Familienvater und einen Workaholic. "Heute würde man sagen: Er hatte keine Skandale. Die einzige Kritik, die an ihm geübt wurde, war sein überbordendes Arbeitspensum." Vier Kinder hatte Schinkel mit seiner Frau Susanne. Er malte seine Familie, ebenso enge Freunde wie den Wirtschaftsreformer Christian Peter Wilhelm Beuth.

In seinen Bauwerken ist das künstlerische Talent Schinkels stets erkennbar. Schon bei der Gestaltung der Pläne achtete er darauf, nicht nur Grundrisse zu vermarkten. Er setzte seine Vorstellungen in detailverliebten Zeichnungen um, ohne sie zu überladen. Bei Schinkel steht ein Gebäude nie als Objekt allein im Raum — das machen viele Exponate in der Ausstellung deutlich. Er bezog das Umfeld ein, die Einordnung seines Werkes in die Natur oder die Stadtlandschaft. Sowohl bei fiktiven als auch realisierten Bauten setzte er die Verschränkung von Innen- und Außenraum in Szene. Da ist beispielsweise ein Vater, der in Schinkels Zeichnung von der Haupttreppe des Alten Museums seinem Sohn ein Wandgemälde zeigt. Wenige Schritte weiter späht ein Mann um die Ecke, blickt auf die Straße und die umliegenden Gebäude. Was ist innen, was ist außen?

Schinkel besaß Verkaufstalent. Das stellte er schon mit dem "Brand von Moskau" unter Beweis: Gerade zogen die ersten ausgemergelten, verhassten französischen Soldaten durch die winterlichen Straßen Berlins, als Schinkels Publikum die Moskauer Flammenhölle bestaunen konnte, die Vorbotin des Rückzugs gewesen war. Besser hätte Schinkel seine Arbeit nicht in Szene setzen können — in Moskau ist er selbst übrigens nie gewesen.

(jd)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort