Moskau Der Cellist vom Weltbürgersteig

Moskau · Eine Box mit 40 CDs erinnert an den Russen Mstislaw Rostropowitsch.

Musiker sagen stets wie unter Eid von sich, dass sie ihre alten Aufnahmen nie mehr anhören. Tempi passati. Aus und vorbei. Auf zu neuen Ufern. So ging es auch dem großen russischen Cellisten Mstislaw Rostropowitsch, dem die Schallplattenfirma Warner jetzt eine fulminante Box mit 40 CDs und drei DVDs gewidmet hat. Anlass ist sein 90. Geburtstag; der große Musikus ist vor zehn Jahren gestorben.

Das Vergnügen, "Slawa" (wie er von Freunden genannt wurde) über die Jahre zu lauschen und seinen ästhetischen Werdegang zu verfolgen, haben jetzt wir. Das geht bei dieser Lieferung besonders gut, weil Rostropowitsch die Hauptwerke der Literatur teilweise mehrfach eingespielt hat. So kommen wir in den fraglos erhebenden Genuss, dass wir beispielsweise das Dvořák-Konzert in drei unterschiedlichen Aufnahmen hören können - und man erlebt, wie er Tempi modifiziert, Ausdruck neu dosiert. Die Aufnahme unter Andrian Boult ist besonders leidenschaftlich, die unter Carlo Maria Giulini besonders innig, die unter Seiji Ozawa am klangprächtigsten. Ähnliche Vergleichsstudien kann man auch bei Werken von Brahms (Doppelkonzert, einmal mit David Oistrach, einmal mit Itzhak Perlman), Sergej Prokofieff, Dmitri Schostakowitsch und vielen anderen machen. Man kommt sich vor, als werde einem die Bibel des Cellospiels akustisch nahegebracht.

Rostropowitsch konnte mit wuchtigem Strich in den Tiefen seines Instruments wühlen, doch besaß sein Ton auch eine unglaubliche Delikatesse in der Höhe und einen herrlichen Reichtum an Klangfarben. Selbstverständlich taucht man als Hörer auch ab in die unbekannten, vornehmlich russischen Zonen der Repertoires, etwa bei Werken von Boris Tischtschenko oder Sergej Tanejew - und auch hier spielt Rostropowitsch mit maximalem Einsatz. Viele dieser Werke wurden eigens für ihn komponiert. Wie in ein kostbares Paralleluniversum begibt man sich beim Hören von Bachs Cello-Suiten, die der Musiker für uns öffnet wie eine Schatzkammer.

Rostropowitsch verstand sich als universeller Geist, das schloss auch sein politisch-humanitäres Engagement ein. Er kämpfte für den Literaturnobelpreisträger Alexander Solschenizyn, spielte am Tag nach dem Mauerfall am Checkpoint Charlie - er war wie Yehudi Menuhin ein Künstler, der auf dem Weltbürgersteig unterwegs war. Ein umfangreiches Begleitbuch mit zahlreichen Fotos rundet dieses kostbare, in rotem Stoff eingeschlagene Kabinett der Tonkunst ab.

Info "Rostropowitsch - Cellist Of The Century"; 40 CDs und drei DVDs, mit Begleitbuch; Warner; etwa 150 Euro

(w.g.)
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