Depardieu so stark wie nie

Der französische Schauspieler Gérard Depardieu bringt am Donnerstag seinen Film "Das Labyrinth der Wörter" ins Kino. Für den 62-Jährigen ist es die dritte Glanzrolle innerhalb weniger Wochen. Mann kann inzwischen sogar von einem neuen Genre sprechen – dem Depardieu-Film.

Der neue Film mit Gérard Depardieu heißt "Das Labyrinth der Wörter", aber der Titel ist eigentlich egal. Es ist ein Film mit Depardieu in der Hauptrolle, ein Depardieu-Film also, und wer in den vergangenen Wochen häufiger im Kino gewesen ist, wird wissen: Es ist ein großes Glück, solch einen Film zu sehen – gleichgültig, wovon er handelt. Der 62-Jährige ist in der Form seines Lebens, das ist alles gut, was er derzeit produziert, der Krimi "Bellamy" von Claude Chabrol etwa, die Komödie "Mammuth", die Martin-Suter-Verfilmung "Small World" und nun diese Ode an die Literatur und das Lesen. Er ist da ein Einfaltspinsel, der im Park eine alte Dame trifft. Der Gelegenheitsarbeiter, der ansonsten zumeist mit seiner Katze spricht, hat es nicht so mit Texten, aber Marguerite liest ihm Camus vor, und sie reden und schwärmen und begreifen; Körper trifft Text. Allein zu sehen, wie das große Wörterbuch, das sie ihm schenkt, in den mächtigen Händen des gerührt seufzenden Latzhosenträgers verschwindet, ist das Eintrittsgeld wert. Man erinnert sich an einen Satz, den Depardieu in seiner größten Rolle sprach, als Cyrano de Bergerac (1990) nämlich: "Ich liebe dich, ich bin toll, verrückt, von Sinnen; zum Glockenspiele machtest du mein Herz." Das ist er heute wieder, so legt er seine Auftritte an, er schlägt das Glockenspiel und bringt das Herz zum Schwingen.

Depardieu spielt nur noch Männer, die auf ein Leben voller Widersprüche zurückschauen und mit ihren gebrochenen Biografien kokettieren, dafür muss er sich nicht eigens umziehen. Und im Fall von "Mammuth" und "Das Labyrinth der Worte" spielt er nicht mal, er ist nur mehr, die Drehbücher hat man für ihn geschrieben. "Ich stelle im Kino nichts dar. Ich lebe einfach", sagte er jüngst im Interview. Dass dieser ungehobelte Kerl seine Zuschauer wieder verzaubert, darf man durchaus als Comeback werten – obwohl Depardieu ja nie weg war, sondern jedes Jahr mindestens fünf Filme gedreht hat. Aber zuletzt versteckte er sein Genie im Obelix-Kostüm, das er für die Verfilmungen der "Asterix"-Comics trug, er verschwendete sich in Nebenrollen. Am besten ist er indes, wenn man den Eindruck hat, er sei unkostümiert. Wenn er die Maßlosigkeit nicht zu kontrollieren versucht und den massiven Kopf mit der gekerbten Nase doch mit so feiner Bewegung schräglegt, dass es einen schmunzeln lässt. Wenn seine Augen hervortreten und er staunt. Wenn er ein Lächeln auf die schmalen Lippen legt. Das ist das, was die Gattung Depardieu-Film ausmacht: die Augen, der Mund, dieser Mensch und sein Minimalismus des Überschwangs.

Aus jeder Bewegung dieses Kolosses spricht zudem die Biografie, die Zeitgeschichte, die nationale Autorität. Jahrzehntelang spielte Depardieu die großen Figuren der französischen Historie, Danton, Cyrano, Balzac – nun ist er selbst eine. Das dritte Kind eines Blechschmiedes aus der Provinz war ein schlechter Schüler, litt an einer Sprechstörung. Im Theater entdeckte Depardieu seine Neigung zum Wort, und noch heute gibt er zu, sein Geschichtswissen allein aus der Vorbereitung auf seine Rollen geschöpft zu haben. Als Jugendlicher muss er sodann wie Obelix in einen Topf mit Zaubertrank gefallen sein, an diesem Firnis der Arglosigkeit perlt seither das Pech in dicken Tropfen zu Boden, ohne Depardieus Gemüt vergiften zu können. Die Trennung von seiner langjährigen Ehefrau, der Tod des Sohnes Guillaume, die schwere Herz-OP, das mühsam gewordene Laufen nach dem Trümmerbruch des Schienbeins: Depardieu macht immer weiter.

Er ist Autodidakt, vielleicht gewinnt er daraus sein Selbstbewusstsein. Er ist Anarchist, vielleicht hat er deshalb nie die Achtung vor dem Proletariat verloren. Und er ist Genussmensch, das Leben ist reine Freude für ihn und also Antrieb genug. Wenn er in Cannes einen Preis bekommt, reist er in der Nacht zurück auf sein Weingut im Anjou, nördlich der Loire. Noch im Frack widmet er sich den Rebsorten Chenin blanc und Cabernet franc. Trauben-Flecken auf dem gestärkten Hemd schmücken den Hingebungsvollen wie Orden.

Depardieu spielte stets aus der Zeit heraus, er ließ sich beim Werden zusehen, man denke an die wilden Sachen aus den 70ern. In "Quartett bestial" tötet er als durchgedrehter Mediziner seine Familie. In "Die Ausgebufften" zieht er als Tagedieb durch Frankreich, raubend, fluchend, hurend. In "Die letzte Frau" entmannt er sich mit einem Elektromesser. Dann spielte er bei Truffaut, in diesem unglaublich starken Film "Die Frau nebenan", und wurde mit "Cyrano" nationales Heiligtum. Ende der 80er Jahre war er nach dem Erfolg von "Green Card" drauf und dran, in die USA umzusiedeln. Es war die Zeit, als ein französischer Studio-Boss sagte: "Ob ein Film Erfolg hat, hängt davon ab, ob Depardieu mitspielt".

Depardieu wirkt heute, als sei er angekommen. Es macht ihm keine Schwierigkeiten mehr, er selbst zu sein. Aus der rohen Erscheinung spricht nur mehr reine Zärtlichkeit. Depardieu-Filme sind menschliche Komödien, bebildern mit tröstlicher Wirkung die Daseinslehre des den Zeitläuften Entwachsenen. Am Ende von "Das Labyrinth der Wörter" streift er noch einmal seine Gelassenheit ab und wird zum Berserker. Er holt die von ihrer Familie abgeschobene Dame aus dem Heim und entführt sie ins Glück. "Und der Papierkram?", fragt die verdutzte Marguerite. Depardieu zuckt die Schultern und lächelt. Er weiß: Schönheit wächst, wo das Eingängige unterbrochen und die Erwartung überlistet wird.

(Rheinische Post)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort