Das schiefe Leitbild der Bundeswehr

Martin Sebaldt erklärt die Armee für "nicht abwehrbereit".

"Deutsche Bundeswehr. Ehrenamtliche Wehrsportgruppe der BRD GmbH. Waffen veraltet, seltene Erfolge gegen Tanklastzüge, klärt lieber aus der Luft auf (General-Sommer-Geschwader)" lautete das Fazit eines "endgültigen Satiremagazins" im Dezember 2016: Die "Titanic" schrieb es nach Erscheinen des neuen Verteidigungsweißbuches. Satire? Der Titel eines neuen Buches des Politikwissenschaftlers Martin Sebaldt sagt es ähnlich: "Nicht abwehrbereit. Die Kardinalprobleme der deutschen Streitkräfte, der Offenbarungseid des Weißbuchs und die Wege aus der Gefahr".

Auf knapp 150 Seiten erläutert der Oberst der Reserve, früher tätig an der Führungsakademie der Bundeswehr, sechs "Kardinalprobleme": Die Bundeswehr habe keine effektiven Reserven, verliere ihr Personal und verschwinde deshalb aus der Gesellschaft. Sie verliere ihre "materielle Effektivität" durch alte oder fehlende Waffen, verharre in starren Strukturen und vernachlässige ihre Strategie. Das neue Weißbuch bleibe darauf "die Antworten schuldig". Sein Fazit: Keine strategisch-programmatische Positionsbestimmung.

Der Befund ist alt, wird aber klar belegt und mit Lösungsvorschlägen kombiniert. Neu sind die Strategiefragen im letzten Kapitel, die über Ausrichtung und Wert der Streitkräfte entscheiden könnten. Sebaldt fordert "militärwissenschaftliche Schwerpunkte" an Bundeswehruniversitäten. Denn "wo strategische Grundlagenarbeit durch Routineaufgaben beziehungsweise durch eine lückenhafte akademische Planung derart in den Hintergrund gedrängt wird, darf man sich nicht wundern, wenn der Bundeswehr bis heute eine einheitliche Militärstrategie fehlt".

Leider ist der Autor auch einigen Ideologismen auf den Leim gegangen. So redet er von angeblichen Einsparungen durch europäische Rüstungszusammenarbeit und Standardisierung, obwohl dies der Bundeswehr schon auf nationaler Ebene nicht gelingt. Zugleich blendet er die dafür beschlossenen zusätzlichen europäischen Umverteilungsmechanismen aus. Dies gilt auch für die positive Beurteilung multinationaler EU-Einheiten, auch wenn er darauf hinweist, dass hier deutsche Truppenverbände unter ausländischem Oberbefehl stehen können. Das wäre weder bei Franzosen noch bei Briten möglich. Und dies gilt auch für sein Plädoyer, die Bundeswehr weniger für den Kampf sondern für das Prinzip, die "Herzen und Köpfe" der Menschen zu gewinnen, ausrichten sollte. Das würde sie nach militärischen Aktionen der anderen für die Ausputzerfunktion als Besatzungsarmee geradezu prädestinieren. Können wir das wirklich wollen?

Wie das im selben Verlag erschienene "Jahrbuch Innere Führung 2016" zeigt, geht es heute auch um die Frage, ob Habermas oder Clausewitz das Leitbild für die Bundeswehr der Zukunft abgeben sollen, ob man also "die Prophezeiungen der Kritischen Theorie in die Organisation Militär" (P. Buchner, Fregattenkapitän) überträgt oder sie wieder abwehrbereit macht. Und ob man wie Habermas die Schaffung eines europäischen Superstaates fordert und dies wie die Verteidigungsministerin umsetzt oder wie Sebaldt fordert, "dass Deutschland als große Nation seiner sicherheitspolitischen Rolle im weltweiten Mächtekonzert gerecht wird".

Martin Sebaldt: Nicht abwehrbereit. Die Kardinalprobleme der deutschen Streitkräfte. 2017, Miles, 150 S., 9,80 Euro

(RP)
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