Schauspielhaus Düsseldorf Psychogramm eines Träumers

Gestützt auf Shakespeare zeigt Tom Lanoye im Düsseldorfer Schauspielhaus sein Stück über den englischen König Heinrich VI.

 Sie boten eine große Leistung und hinterließen das Publikum zufrieden, aber erschöpft: André Kaczmarczyk als hilfloser Heinrich VI. und Sonja Beißwenger als machthungrige Margaretha di Napoli.

Sie boten eine große Leistung und hinterließen das Publikum zufrieden, aber erschöpft: André Kaczmarczyk als hilfloser Heinrich VI. und Sonja Beißwenger als machthungrige Margaretha di Napoli.

Foto: Sandra Then

Eine riesige Krone hängt über der Bühne – so riesig, dass sie den Jungen vorn an der Rampe schier erdrückt. Der kauert dort in kurzer Hose, mit Kniestrümpfen, einer Mütze auf dem Kopf und einer Puppe in der Hand. Links davon ist er zu Hause – auf einer Matratze, um die sich Bücher stapeln und ein Globus leuchtet. Schwarz und gebieterisch ragt aus diesem Stillleben die Bibel hervor. Was aus dem Jungen einmal werden soll, steht fest: König. Für ihn, den Träumer, der falsche Beruf.

Der 61-jährige belgische Regisseur und Tausendsassa Tom Lanoye hat für sein Stück „Henry VI & Margaretha di Napoli“, das jetzt im Großen Haus des Düsseldorfer Schauspielhauses Premiere hatte, in den Schatz der Shakespeareschen Königsdramen gegriffen und daraus eine dreistündige, hochtourige Performance geschöpft: einen Abend über Macht, Moral und Ohnmacht mit großen schauspielerischen Leistungen und einer fragwürdigen Haltung gegenüber der Titelgestalt.

André Kaczmarczyk spielt Heinrich VI., der als Siebenjähriger zum König von England und als Zehnjähriger zum König von Frankreich gekrönt wurde, bis in die ungelenken, tastenden Bewegungen hinein als Menschen zwischen vater- und mutterloser Kindheit und dem Gespinst aus Machtspielen ringsum, das er allenfalls erahnt. Während er mit Mühe erwachsen wird, haben längst Verwandte das Kommando über die Politik übernommen.

Bald betritt Sonja Beißwenger als Margaretha di Napoli die Bühne. Sie hat alles, was dem schwächlichen, zaudernden, in einem rührend schlichten Christentum befangenen Heinrich fehlt: Egoismus, Durchsetzungskraft und den Willen zur Macht. So schafft sie es auch, sich von Heinrich ehelichen zu lassen und zur Königin von England aufzusteigen – sie, die im Herzen an Bella Italia hängt und das Bloody England verwünscht.

Um dieses ungleiche Paar gruppieren sich auf der Bühne, die die Darsteller beim Szenenwechsel drehend versenkt und auf der anderen Seite neue Personen aufsteigen lässt, Frauen und Männer mit unterschiedlichen Absichten: Rainer Philippi als Hugo Gloster, Heinrichs stets korrekt auftretender Onkel, dazu Minna Wündrich als dessen Gattin und Florian Lange als Heinrichs verschlagener Onkel und Bischof von Winchester sowie weitere Charaktere von Rang, allesamt unter der Regie von David Bösch.

Der setzt vor allem auf turbulente Szenen. Bei Margarethas Kampf um die Krone, die ihrem Mann nichts bedeutet, kommt es mehrfach zu kunstvollen Fechtkämpfen, und je länger das Stück sich zieht, desto mehr Blut fließt.

Während Margaretha immer rabiater auftritt, wirkt Heinrich zusehends wie ein liebenswürdiger Idiot der Familie: „Lass diesen Kelch an mir vorübergehen“, fleht er, der Bibelkundige, im Hinblick auf die Krone und deren Forderung nach Machtgebrauch. Seine Krone, so schickt er später nach, heiße Zufriedenheit. Das trägt ihm aus seiner Umgebung den Vorwurf ein: „Wir werden von einem Feigling regiert.“ Er ist und bleibt eine Marionette seiner Höflinge, und wenn die sich streiten, ruft er sie einfach auf, sie mögen sich vertragen.

Nach der Pause machen sich Längen bemerkbar. Darüber vermag auch der raschere Szenenwechsel nicht hinwegzutäuschen, nicht die stellenweise ohrenbetäubende Musik, nicht die lauter werdenden Deklamationen und auch nicht die Krone über der Bühne, die jetzt ihre Farbe gewechselt hat und vor Blut zu triefen scheint.

Am Ende steht Margaretha mit ihrem toten Baby allein auf der Bühne und flüstert ihm zu: „Von einem bleibst du jetzt verschont, mein Sohn: Der Kron‘. Der Krone. Dieser Krone...“

Unabhängig davon, was historisch überliefert ist, was Shakespeare daraus gemacht hat und wie virtuos Tom Lanoye die Stoffe der Königsdramen bis zu Richard III. miteinander verknüpft hat, erscheint die Moral der Geschichte in dieser neuesten Fassung doch etwas unschlüssig. Will die Inszenierung Heinrich wirklich deshalb verulken, weil dieser Kindkönig von seiner Natur her nicht die Macht ausüben kann, die nötig wäre, in die heldischen Fußstapfen seines früh gestorbenen Vaters Heinrich V. zu treten und England Halt zu geben? Brauchen wir heute nicht gerade die Friedfertigkeit in der Welt, zu welcher der vermeintlich naive, kasperlhaft gezeichnete Heinrich trotz aller Intrigen um ihn herum immer wieder aufruft?

Das Publikum reagierte mit ausdauerndem Beifall, vor allem wohl für die famosen Darsteller. Mancher schien den Saal ein wenig erschöpft zu verlassen. So viele historische Zusammenhänge, so viele widerstrebende Interessen personifiziert auf der Bühne, so viel Gewalt, mit der uns die Medien ohnehin Tag für Tag überschütten – das muss man erst mal verkraften.

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