Das Schachbrett der Weltpolitik

Der frühere US-Sicherheitsberater Brzezinski erklärt, warum die Welt die Führung der USA braucht.

Der ehemalige nationale Sicherheitsberater ist ein Meister klarer Worte: "Frankreich erhofft sich durch Europa seine Wiedergeburt, Deutschland seine Erlösung." Was sich wie ein aktueller Kommentar zur Europapolitik liest, stammt aus dem Jahr 1997, aus dem wieder neu aufgelegten Buch des ehemaligen Beraters von US-Präsident Carter, dessen amerikanischer Titel "Das große Schachbrett" den Inhalt weit besser wiedergibt als der deutsche, "Die einzige Weltmacht. Amerikas Strategie der Vorherrschaft". Weit über die "pax americana" hinaus ist es eine Anleitung zum geopolitischen Verständnis von Weltpolitik.

Das Buch war acht Jahre nicht mehr im deutschen Buchhandel erhältlich. Es erscheint neu zu einem Zeitpunkt, wo Krim-Annektion, Griechenland-Krise und Flüchtlingsströme den alten binneneuropäischen Konsens herausfordern, der aus der Nischen-Zeit des Kalten Krieges stammt. Weil die Welt eben auch ein Schachbrett ist, auf dem kühl kalkuliert wird. Wie das geht, zeigt die "Methode Brzezinski".

Der einstige Sicherheitsberater gliedert sein Buch in sieben Kapitel, die die Bedeutung Eurasiens und des rohstoffreichen Zentralasiens behandeln, aber auch die Entwicklung der EU, Russlands, Japans und Chinas, dessen Aufstieg er alles in allem durchaus positiv sieht. Eine Zusammenarbeit mit der angehenden Großmacht sei für die USA durchaus wünschenswert.

Ziel des Buches ist es, "im Hinblick auf Eurasien eine umfassende und in sich geschlossene Geostrategie zu entwerfen." Dies ist ihm gelungen, und deshalb ist auch vieles davon nach wie vor so aktuell. Im Zentrum steht dabei nach alter geopolitischer Tradition die Bedeutung der EU als entscheidender amerikanischer Brückenkopf in Eurasien, getreu dem Prinzip der strategischen Gegenküste, und die Warnung vor einem Zusammengehen Russlands mit der EU oder mit Deutschland und Frankreich, wie sich das angesichts des dritten Golfkriegs mit der Koalition der Unwilligen, bestehend aus Schröder, Putin und Sarkozy, schon einmal kurz andeutete.

Grundsätzlich bedeutsam sind Brzezinskis Ausführungen zu "Geopolitik und Geostrategie" sowie zu ihren Akteuren in Kapitel 2, liefern sie doch das begriffliche Rüstzeug für den vom Autor vertretenen Ansatz realistischen außenpolitischen Denkens, wie er für das interessenorientierte Agieren von Großmächten typisch ist. Brzezinskis Ansatz für die USA als der "einzigen Weltmacht" ist eine amerikanische Strategie, keine Blaupause ihrer Regierungspolitik. Dennoch dürfte kein US-Präsident ihre Erkenntnisse und Thesen vernachlässigt haben, auch wenn Obama das weltweite Engagement deutlich zurückgefahren hat. Angesichts der von so manchem begrüßten Entwicklung von der "pax americana" hin zu einer in den vergangenen Jahren deutlicher gewordenen multipolaren Staatengesellschaft, die tendenziell härtere Auseinandersetzungen erwarten lässt. So mancher Befürworter dieser Entwicklung gerade in Deutschland könnte sich noch wundern!

Dies zeigt auch das Vorwort des langjährigen deutschen Außenministers Hans-Dietrich Genscher, eine Würdigung Brzezinskis, auch wenn ihn dessen Terminologie des macht- und gleichgewichtspolitischen Denkens an frühere Zeiten "erinnert" und er das Buch zu Recht als eine "sehr amerikanische Antwort" auf die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts wertet: "Man kann nicht sagen, dass diese Haltung bei uns sehr verbreitet ist."

Der Abstand solchen geostrategischen Denkens zum bundesdeutschen Verständnis von Politik ist enorm und trifft auch international nicht auf Verständnis. So spricht Ross Douthat von der New York Times von der "närrischen Illusion", Deutschland könne sich von vergangenen Sünden durch einen rücksichtslosen Humanitarismus in der Gegenwart "erlösen". Für den aktuell interessierten Zeitgenossen ist Brzezinskis Buch die richtige Lektüre, weil es deutschen Idealismus durch nüchternen amerikanischen Realismus korrigiert. Ein Rezept für "gute" Politik kann indes kein Buch sein.

(RP)
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