Das Martyrium des Murat Kurnaz

Der Spielfilm "5 Jahre Leben" erzählt, wie der Deutschtürke aus Bremen nach Guantanamo geriet und gefoltert wurde.

Murats einziger Freund in Guantanamo ist kein Mann. Freundschaft unter Menschen gibt es hier nicht. Der kleine Leguan krabbelt durch das Toilettenrohr in die Zelle. Bald frisst das Tier Murat Brotkrümel aus der Hand und lässt sich in den Arm nehmen. Die verbotenen Besuche sind Murats einzige Freude. Er klammert sich an sie und ignoriert den Häftling nebenan, der wirr von Spionage und Kameras im Kopf der Echse faselt. Murat ist nicht zermürbt genug für Verfolgungswahn. Noch nicht.

Der heute 31-jährige Deutsch-Türke Murat Kurnaz ist besser bekannt unter seinem Boulevardnamen "Der Bremer Taliban". Bis heute bleibt er im kollektiven Gedächtnis als ruhiger Interviewgast bei Beckmann, kurz nachdem er es heraus geschafft hatte aus der Hölle. Er war 19, frisch verheiratet, gerade zum Islam konvertiert und machte Urlaub in Pakistan, als man ihn unter dem Vorwurf des Terrorismus für fünf Jahre nach Guantanamo verschleppte.

2007 veröffentlichte Kurnaz sein Buch "Fünf Jahre meines Lebens". Nun setzt der junge Autor und Regisseur Sebastian Schaller es fürs Kino um. Schallers Diplomarbeit an der Filmakademie Baden-Württemberg ist die aufrüttelnde, intensiv gespielte Chronik eines unvorstellbaren Unrechts. Sascha Alexander Gerak verkörpert Kurnaz, der bald seinen Hauptgegner kennenlernt. CIA-Agent Gail Holford, vom Engländer Ben Miles mit kühler Präzision gespielt, soll ein Geständnis aus Murat herauspressen, das die Verhaftung im Nachhinein rechtfertigt.

Holford, ein Meister der psychischen und physischen Manipulation, gibt sein Bestes. Zunächst bekommt Murat kleine Vergünstigungen, ein Wärter, der ihn beim Duschen schikanierte, wird abgestraft. Als das Zuckerbrot den eisernen Willen des Gefangenen nicht aufweicht, greift Holford zur Peitsche. Murat kriegt Waterboarding und Schlafentzug, selbst der Leguan wird zum Folterinstrument. Allein ein Jahr verbringt Murat in Einzelhaft. Man setzt ihn ununterbrochen greller Beleuchtung, lauter Dauerbeschallung, Hitze und Kälte aus. Einmal serviert Holford ihm Burger mit Pommes und gratuliert ihm zur sofortigen Entlassung. Fassungslos taumelt Murat ins Freie, schafft es bis in den Hubschrauber. Und wird in letzter Sekunde doch nur wieder herausgezerrt. Vergeblich tritt Murat in Hungerstreik, er kommt dem Wahnsinn sehr nahe, aber er bricht nicht. Denn eines hat er verstanden: Die Entscheidung, das Geständnis nicht zu unterschreiben ist alles, was ihm bleibt.

Als der Film endet, hat Kurnaz 400 Tage Guantanamo überlebt, 1200 liegen noch vor ihm. Fast ununterbrochen war man mit ihm in der Zelle. Nur sporadisch beleuchtet Schaller in Rückblenden Murats Vergangenheit, in seltsam nebulösen, distanziert wirkenden Szenen. Seine Hochzeit wird gestreift, der Schlägerjob als Türsteher einer Disco, die Entscheidung, dem Islam beizutreten. Murat lässt sich einen Bart stehen und findet neue Freunde in der Moschee, von denen Schaller einige sehr plakativ als Terroristen auf Rekrutenfang inszeniert. Warum er wirklich Muslim werden will, das Misstrauen, das ihm plötzlich von Eltern und Bekannten entgegenschlägt, all das untersucht Schaller nicht weiter.

Ebenfalls kaum ein Thema ist die Verstrickung der deutschen Regierung in die Ausdehnung von Kurnaz' Haft, obwohl man ihn in den USA bereits 2002 nicht mehr verdächtigte. Aus der Wegblendung der Außenwelt zieht "5 Jahre Leben" große Intensität, aber in seiner Eindimensionalität liegt auch die Schwäche des Films. Wären da nicht die orangen Kittel und die Kapuzen, die zu Fanalen gewordenen Bilder von Gefangenen, die in vergitterten Zwingern knien, könnte "5 Jahre Leben" als klaustrophobisches Folterdrama jedes beliebigen Unrechtsstaates durchgehen.

Die Soldaten sind durchweg Sadisten ohne Profil, bis auf einen, Prototyp des aufrechten Amerikaners, der Murat gelegentlich sein Mitgefühl ausdrückt. Holford auf der anderen Seite vereint in seiner Person alles, was am System unmenschlich ist. Da macht Schaller sich die Sache zu einfach. Sehenswert und wichtig ist sein Film trotzdem: Zur Stunde sitzen in Guantanamo immer noch 166 Häftlinge, die meisten von ihnen ohne Prozess. Schaller geht es um ihre Schicksale, nicht um politische Ränke. Nicht um Murats Unschuld, sondern um die Schuld, die ein Ort wie Guantanamo bedeutet. lll

(RP)
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