Ausstellung Schönheit und Schrecken der Natur

Münster · Unter dem Titel „Horror and Delight“ zeigt das LWL-Museum Münster hochrangige Bilder des englischen Malers William Turner.

Auch im Schaudern liegt Genuss. Wenn der englische Landschaftsmaler William Turner (1775-1851) die Liebhaber seiner Bilder an schweizerische Schluchten geleitet, zu Schiffbrüchigen auf hoher See oder zu einem Fischmonster bei Sonnenaufgang, führt er uns etwas Erhabenes vor Augen: Schaut her, so groß ist die Natur und so winzig der Mensch, der ihr ausgeliefert ist. Anhand bedeutender Leihgaben aus der Londoner Tate Gallery lädt das LWL-Museum Münster nun zu einem wohligen Blick in den Abgrund, vor allem aber auf die Schönheit der Schöpfung.

Denn im Titel der Ausstellung müsste die Freude eigentlich dem Horror vorausgehen. Die meisten Landschaften leuchten in warmen, ockerfarbenen, lichtdurchfluteten Tönen. Die raue See, der drohende Schiffbruch in kaltem Grau und Blau und gleißendem Weiß dagegen sind in der Minderzahl. Wie die Menschen sich schon immer mehr vom Jüngsten Gericht und von Höllenpein als von Visionen des Friedens beeindrucken ließen, so fesselt auch Turner das Publikum bevorzugt durch seine Katastrophen. Am Ende geben sich Schönes und Schreckliches als zwei Seiten ein und derselben Medaille zu erkennen, die Leben heißt.

Schon zu Beginn mischt die Ausstellung unter die Werke Turners Bilder von Malern, von denen er sich inspirieren ließ, vor allem von Philippe-Jacques de Loutherbourg, zum Beispiel "Lawinengefahr in den Alpen". In der überwältigenden Natur suchen sich Menschlein gegen das anrollende Unglück zu wehren. So ähnlich malte Turner anfangs ebenfalls, doch er setzte sich vom Naturalismus seiner Zeitgenossen zügig ab. In seiner dramatischen Szene "Der Sturz einer Lawine in Graubünden" lassen sich Menschen allenfalls erahnen. Das Weiß der mit Grau durchsetzten Schneemassen beherrscht die Komposition, der darunter zersplitternde dunkle Baum dient als Beweis der Wucht, welche die Natur hier entfaltet.

Turner bereiste nicht nur die Schweiz, sondern auch Deutschland, Frankreich und besonders gern Italien. Nachdem er bereits mit 32 Jahren an der Royal Academy in London eine Professur für Perspektive bekommen hatte, konnte er sich das leisten. In Hunderten von Skizzenbüchern hielt er fest, was er später in Aquarelle oder Ölgemälde übertrug.

Das Aquarell war sein eigentliches Medium, mit seinen ineinander verlaufenden Farben, die Grenzen verschwimmen lassen und Figürliches verwischen. "Im Licht Italiens" ist denn auch einer der schönsten Säle. Turners helle Ansichten von Venedig zeigen von der Lagunenstadt gerade so viel, dass man die Bezüge erkennt: die Türme von San Marco, den Dogenpalast oder die Stufen der Kirche Santa Maria della Salute. Das Schemenhafte dieser Blätter macht mit ihrem vielfach gebrochenen Farbenspiel ihren Zauber aus.

Diese Schönheit findet sich auch in Turners Ansichten aus der Schweiz: das malerische, aber kaum identifizierbare Grenoble mit dem Mont Blanc im Hintergrund und das hinter einer verschatteten Landschaft schneeweiß aufragende Wetterhorn. Doch typischer für seine Schweizer Bilder sind jene, die dem Betrachter den Atem stocken lassen: enge, unwegsame Pässe, Gletscher und vom Sturm verwüstete Natur.

Bei den heiteren Landschaften aus den 1840er Jahren lässt sich verfolgen, wie Turner sich immer weiter in Richtung einer reinen Farbmalerei bewegte. "Sonnenuntergang über einem See" ist mit ihren ineinanderfließenden Gelb-, Orange und Weißtönen fast eine ungegenständliche Komposition.

Die Bilder des Spätwerks galten vielen Zeitgenossen als Schmierereien eines alten, verwirrten Mannes. Aus heutiger Sicht dagegen ernennen ihn manche zum Wegbereiter der modernen Kunst - als würde erst dies seinen Rang beglaubigen. Das eine ist so falsch wie das andere: William Turner war ein Maler, der einen neuen, eigenen Weg beschritten hatte und damit in seinem 19. Jahrhundert ein Zeichen setzte.

Wie sehr hinter seiner Malerei auch eine Weltanschauung steckt, das ergibt sich aus den Bildern des letzten Saals mit seinem scheinbar leicht gemalten Schwergewicht "Licht und Farbe (Goethes Theorie) - der Morgen nach der Sintflut". In der oberen Hälfte schwebt Mose, der gerade das Buch Genesis schreibt - eine winzige Gestalt am gelb-braun-schwarzen Firmament. Das Bild gilt als Ausdruck des ewigen Kreislaufs von Vergehen und Wiedererwachen der Natur. Das Wechselspiel von Licht und Dunkelheit war für Turner ein Spiegel der Heilsgeschichte. So weisen seine viel bewunderten Kompositionen weit über Freude, Schrecken und Zauberei mit Licht hinaus.

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