Neue Ausstellung im Bonner Haus der Geschichte Heimat ist mehr als ein Gefühl

Bonn · Was Heimat ist, fragt das Bonner Haus der Geschichte in seiner aktuellen Ausstellung und begibt sich in einer Dorfkulisse auf Spurensuche. In fünf Stationen und mit 600 Objekten und Dokumenten wird das Thema beleuchtet.

 Ein Kissenbezug mit traditionellem Heimatmotiv aus den 1950er Jahren.

Ein Kissenbezug mit traditionellem Heimatmotiv aus den 1950er Jahren.

Foto: Foto: Stiftung Haus der Geschichte/Stiftung Haus der Geschichte/ Axel Thünker

„Wir dürfen Begriffe wie Heimat, Heimatliebe, Patriotismus nicht den Rechten und Populisten überlassen“, schrieb der britische Historiker Timothy Garton Ash 2018. Aber was ist Heimat? Bestimmt nicht ein Begriff, sondern ein ganzer Komplex von Bedeutungen. Vielleicht auch etwas Undefinierbares. „Et gitt kei Wood, dat sage künnt, wat ich föhl, wann ich an Kölle denk, wann ich an ming Heimat denk“, singt die kölsche Band Cat Ballou in einer emotionalen Ballade: Heimat erscheint hier als etwas Unaussprechliches, als ein Gefühl.

Geht man auf die Suche nach einer Definition von Heimat, wird man in erstaunlich vielen Liedern von Kölner Karnevals-Bands fündig. Mentalität, Humor, Lebensart, die Häuser und Gassen im „Veedel“ sind für die Klüngelköpp Heimat. Dort, wo du nicht abseits stehst, ist für die Paveier Heimat, die kölschen Lieder und die kölsche Sprache: „Heimat es do, wo de glöcklich bes.“ Heimat ist, folgt man den Räubern, wo die Kölner ihr Paradies haben. Und das wird genau lokalisiert – zwischen Neumarkt, Dom und Heumarkt, das Bermudadreieck des Frohsinns. Es gibt im rheinischen Liedgut nur eine Steigerung von Heimat, das ist der Fußball-Bundesligist 1. FC Köln. Wenn die Hymne „Mer stonn zo dir, FC Kölle“ das Müngersdorfer Stadion flutet, bleibt kein Auge trocken. Heimat als Gemeinschaftserlebnis.

Heimat kann naiv und trivial daherkommen, taugt zum Werbeslogan, wird im Kitschfilm banalisiert, kann politisch instrumentalisiert werden. Und es gibt Menschen, die zwei Heimaten haben, und Heimatvertriebene ohne Heimat. Es gibt Heimat als Gefühl, Geschmack und Geruch, als reaktionäres Unwort und Sehnsuchtsbegriff. Heimat hat etwas mit Herkunft zu tun, sie kann auch Ballast sein.

Ein weites Feld also, das das Haus der Geschichte in Bonn in seiner aktuellen Ausstellung beackert. Es ist die Abschieds-Schau des scheidenden Präsidenten der Stiftung Haus der Geschichte, Hans Walter Hütter. 35 Jahre hatte Hütter in verschiedenen Funktionen in dieser Institution seine Heimat. Er verlässt sie jetzt mit einer spannenden Spurensuche. 600 Objekte kreisen um den Begriff. Interpretationen und Lesarten erfolgen aus allen erdenklichen Perspektiven.

Ob mit einem schlammverkrusteten Gaszähler aus dem Ahrtal der im Sommer 2021 zerstörten, gleichsam weggespülten Heimat gedacht wird, oder ob in einem Heimatkundebuch des Volkseigenen Verlags „Volk und Wissen“ (1971) Ostalgie aufkommt; ob Sonja Ziemann und Rudolf Prack im Film „Das Schwarzwaldmädel“ wenige Jahre nach Kriegsende unschuldige Heimatgefühle zelebrieren oder Requisiten aus Edgar Reitz‘ hinreißender TV-Saga „Heimat“ die Liebe oder Loslösung vom fiktiven Heimatort Schabbach in tollen Bildern und Episoden feiern – jedes Exponat erzählt seine Geschichte. Und viele gehen unter die Haut.

Zum Beispiel das Statement des  Holocaust-Überlebenden, Widerstandskämpfers und Autors Jean Améry, der 1966 den Essay „Wieviel Heimat braucht der Mensch?“ veröffentlichte und zum Schluss kam: „Man muss Heimat haben, um sie nicht nötig zu haben.“ Leo Sachs – auch er überlebte die Nazi-Barbarei – hatte seinen gestreiften Anzug und den seiner Frau aufgehoben und bewahrte alles in einem Koffer auf, der in der Ausstellung zu sehen ist. Relikt einer bitteren Zwangsheimat, in der er seine Frau und zwei Söhne verlor. Sachs kehrte  1945 wieder in sein Köln zurück, baute dort die jüdische Gemeinde erneut auf. Die  Tochter fand den Koffer erst nach seinem Tod auf dem Dachboden.

 Seine Häftlingskleidung aus dem KZ Auschwitz bewahrt Leo Sachs in einem Koffer auf. Er kehrt nach der Befreiung 1945 zurück nach Köln.

Seine Häftlingskleidung aus dem KZ Auschwitz bewahrt Leo Sachs in einem Koffer auf. Er kehrt nach der Befreiung 1945 zurück nach Köln.

Foto: Haus der Geschichte/Stiftung Haus der Geschichte/ Axel Thünker

Die Ausstellung hat die Anmutung eines Dorfes. Das Architekturbüro Wandel Lorch Götze hat den Parcours so angelegt, dass man durch ein Torhaus in die Schau gelangt. In diesem Tor hat der Besucher über Monitore den ersten Kontakt mit dem schier uferlosen Kosmos

Heimat und mit den Statements von 18 Protagonisten, die im Laufe der Ausstellung immer wieder auftauchen und nach und nach Konturen bekommen. „Heimat ist ein Wort, das ich nie benutzt habe“, hört man im Entree, oder „Heimat ist eher ein Gefühl“.

Später erfährt man mehr. Zum Beispiel vom Verlust der Heimat durch Umsiedelung ganzer Dörfer, wovon Hans Josef Dederichs aus Erkelenz eindringlich berichtet. Er macht Front gegen den Braunkohletagebau. Auch die Sorbin Edith Penk, die im Video mit einer wild gemusterten Tracht und Haube auftritt, protestiert dagegen, allerdings in der Lausitz, wo der Siedlungsraum der Sorben und Wenden durch den Braunkohletagebau zerstört wird. Heimat als Zugehörigkeitsgefühl zu einer Schicksalsgemeinschaft, auch zum Judentum, davon erzählt schließlich Greta Zelener.

Die Ausstellungsmacher nennen diese Ansammlung von Statements eine „Biografische Spur“, die einerseits ganz viele Facetten des Themas Heimat abbildet, andererseits in die Dorfmitte führt, wo das Thema diskutiert wird. Und zwar in einem „Heimat-Labor“: Auf Projektionswänden sind engagierte Debattenrunden zu erleben, der Moderator ist der Kölner Schauspieler und Kabarettist Fatih Cevikkollu. Hier, auf dem Dorfplatz, ist der Besucher aufgerufen, seine Meinung zu verschiedenen Fragen aufzuschreiben und an die Wand zu pinnen.

Nach einem Prolog, der den schon früh politisch aufgeladenen Heimat- und Vaterlandsbegriff vom beginnenden 19. Jahrhundert bis in die NS-Zeit schlaglichtartig begleitet, finden wir uns in der Gegenwart wieder, in der Heimat nicht mehr muffig und altväterlich klingt, sondern hip ist. Ob Produkt- oder Parteienwerbung aller Couleur: Heimat zieht und kommt an.

In fünf Häusern des Museumsdorfs dekliniert die Schau den Begriff durch – von der Schlagerhitparade bis zum Schicksal der Russlanddeutschen, vom jüdischen Leben in Deutschland bis zum Thema Migration. 21,2 Millionen Menschen – mehr als ein Viertel der Bevölkerung – haben familiäre Wurzeln im Ausland, mitunter mehrere Heimaten oder eine neu angenommene Heimat. Sie sind wegen der Arbeit oder auf den Fluchtrouten durch Europa nach Deutschland gekommen. Die Ausstellung widmet ihren Geschichten einen breiten Raum. Mit einem Hauch von Ironie erzählt etwa die Tragikomödie „Almanya – Willkommen in Deutschland“ von Yasemin und Nesrin Samdereli von den Widersprüchen und Missverständnissen, von der Zerrissenheit, aber auch vom Charme eines Lebens zwischen den Kulturen.  

Heimat, das ist aber auch ein Wort der Abgrenzung gegen alles Fremde, Ausländische, ein Kampfbegriff für Rechtspopulisten und Rechtsextreme, so zeigt die Ausstellung: „Heimat statt Multi-Kulti“, mit dem Slogan ging die AfD 2017 in Schleswig-Holstein auf Stimmenfang. Eindrucksvoll, aber vielleicht zu knapp bearbeitet die Schau den Komplex Rassismus und Hetze gegen Ausländer, die von Beleidigungen im Alltag oder über Social Media bis zu rassistisch motivierten Straftaten reicht – wie 2020 der Anschlag in Hanau, der neun Menschen mit Migrationshintergrund das Leben kostete.

„Mi Heimat es su Heimat“, dieses Schild trug ein Demonstrant 2018 in München in Anlehnung an „Mi casa es su casa“ (spanisch: Mein Zuhause ist dein Zuhause) als Protest gegen Ausgrenzung und Abschottung. Facetten eines uferlosen Themas.

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