Opern-Premiere Das Frauenorchester von Auschwitz

Im Theater Mönchengladbach wurde Stefan Heuckes abendfüllende Oper "Das Frauenorchester von Auschwitz" uraufgeführt. Das gesamte Ensemble erntete großen Beifall, die Musik enttäuschte auf ganzer Linie, die Regie indes fand starke Bilder.

Mönchengladbach Gefängnisse waren in der Operngeschichte immer Stellwerke zwischen Leben und Tod. Wir wurden der Dunkelheiten in "Fidelio" gewahr, sahen die trügerischen Sterne über der Engelsburg in "Tosca", tauchten ein ins fahle Freiheitslicht in Janáeks "Totenhaus", ins Straflager von Schostakowitschs "Lady Macbeth von Mzensk", in die Alpträume von Dallapiccolas "Il Prigioniero" (Der Gefangene). Hinterher brach trotzdem stets froher Jubel aus, weil auch das schlimmste Operngefängnis leicht als Fiktion zu erkennen war. Motto: War der Kerker auch übel, so war er doch gottlob erfunden. Bei einer Oper über das Konzentrationslager Auschwitz liegt die Sache anders.

Dieses KZ war kein pittoreskes Verlies, sondern eine reale, singuläre Schlachtbank; Auschwitz war das monströse Totenhaus deutscher Geschichte. Was da geschah, mutet noch heute derart unfassbar an, dass allein die Erwähnung des Ortsnamens eine schier mythische Blendkraft besitzt. Theodor W. Adorno hielt nach Auschwitz jede lyrische Betätigung und den Versuch für undenkbar, der Perversionen der Nazis mit den Mitteln der Kunst Herr zu werden. Jedenfalls hat es bis heute keine Oper über Auschwitz gegeben. Nun kommt der 47-jährige Bochumer Komponist Stefan Heucke und nähert sich Auschwitz über ein fast prosaisches Detail: das legendäre Mädchenorchester. Dieses grau gewürfelte Ensemble, das die KZ-Abläufe zwischen Selektion und Krematorium untermalen und etwa die "Schöne blaue Donau" als wohlige Musi zur Entlausung fiedeln musste, gab es wirklich.

Heucke hat sich vor allem an Fania Fénelons Roman gehalten, der im Verdacht steht, die Orchesterleiterin Alma Rosé charakterlich verzerrt zu haben. Deshalb erhob sich vor der Uraufführung Wirbel, als Anita Lasker-Wallfisch, eine Überlebende des Frauenorchesters, die Veroperung unredlich fand, sofern sie auf Fénelons Buch basierte. Heucke nahm ihren brieflichen Protest in den Prolog auf; er läuft zur Ouvertüre als Spruchband auf dem Vorhang. Heucke hatte befürchtet, er könne auf geschichtlich und kunstmoralisch stacheldrahtigem Weg in eine verrufene Ruhmeshalle einziehen, und absichtsvoll konventionell komponiert. Er hat die Partitur gestopft mit schneidenden Trompeten-Klängen, zuckendem Holzbläserterror, brutalen Posaunen-Glissandi, röhrenden Hörnern, knallendem Schlagzeug (das klappernde Xylofon der Gebeine) und Streichergiftgedünst, während auf der Bühne das Frauenorchester Suppés "Leichte Kavallerie" spielt. Das große Orchester auf der Hinterbühne stellt den Soundtrack für die Achse des Bösen bereit, es bildet den Schmerz der Welt ab. Da es sich um Auschwitz handelt, schmerzt es immerzu. Extreme Momente erzeugen hier stets extreme Musik; solche Automatismen zeigen uns Heucke im Gefängnis seines Stoffes. Der dreistündige Abend hat sich musiksprachlich bereits nach fünfzehn Minuten verausgabt. Der Rest ist Wiederholung und gefüllt mit fortwährend motorischen, hysterischen Orchesterklängen und den ausgeleierten Singschablonen des späten 20. Jahrhunderts.

Wenn der Kapo Schmidt (hoher Sopran) ein jüdisches Mädchen mit Zickzackjaultriller "Die Ohrringe, du Judensau!" anfährt, dann klingt das wie wohlfeile Operngebrauchsmusik im mäßig inspirierten Gefolge von Zimmermann, Reimann, Ligeti und Zender. Es klingt laut und schrill, flach und harmlos. Man ahnt die Absicht und ist beinahe gelangweilt. Dass Dr. Mengele, das Monster mit dem Hippokratischen Eid, die "Träumerei" Robert Schumanns liebte, sollte man in einer Auschwitz-Oper hören dürfen. Bei Heucke klingt das Zitat aber nicht verwegen-absurd, sondern so mittelmäßig instrumentiert, als wolle er absichtlich durchs Tonsatzexamen fallen. Und die tonalen Inseln der Musik - so der Beginn in a-moll, der nach Góreckis "Sinfonie der Klagelieder" riecht - sind peinlich nahe am Bewältigungskitsch. Nur einmal stand die Musik auf berührende Weise still: als die Frauen nicht ihr Sprechen, sondern ihr Singen sangen. Am Ende des ersten Aktes singbeteten sie ihr "Adon olam, ascher malach" und ihr "Ave Maria", und man hätte die Nadel fallen hören können. Ohnedies war das Publikum sehr aufmerksam und beifallsfreudig - auch Anita Lasker-Wallfisch.

Könnte also sein, dass diese Uraufführung eine eher pädagogische als kunstproduktive Bedeutung erlangt; es wäre nicht von Schaden. Wer "Das Frauenorchester von Auschwitz" besucht, kriegt Musiktheater geboten, das sich eine eigene Kraft jenseits der Komposition erkämpft. Der Besucher sieht eine schlichte, suggestive Bühne (Friederike Singer) mit Rampe, Gasröhre, Kleiderberg und Fotogalerie; sieht ein fabelhaft beherzt spielendes Frauenorchester (manche stand erstmals auf einer Bühne); hört ein überaus kompetentes Sänger- und Musikerteam. Zwar verbieten sich angesichts des ensemblischen Gewichtes Einzelnominierungen. Doch was Anne Gjevang (Alma Rosé), Kerstin Brix (Fania Fénelon) und Isabella Razawi (Berthe) leisteten, hätte an jeder Staatsoper Bestand gehabt. Das gilt auch für das vorbildliche Spiel der Niederrheinischen Sinfoniker unter ihrem GMD Graham Jackson.

Regisseur Jens Pesel hat die allzu drastischen, realistischen Momente der Oper gestrichen. Er ordnet präzise; die Idee einer Linierung der Bühne, die sich über die Menschen wie ein Sträflingszeichen legt, ist schmerzend klug. Doch sah man auf den Opernbühnen der Welt schon Tausende von Uniformierten, weswegen einem die SS-Leute dieses Abends irgendwie vertraut und klischeehaft vorkamen: Sie gingen sehr laut, trugen Mäntel, Stiefel und Pistolen und hatten die üblichen schlechten Manieren.

Was bringt uns das Werk? In Noten nichts Neues, als Theaterleistung einen Quantensprung. Was nun die Kunst, den Nazismus und den Wahnsinn anlangt, so mag man es eher mit dem Surrealen, Verfremdenden halten. Etwa im Kino bei Benignis "Das Leben ist schön", Lubitschs "Sein oder Nichtsein", Chaplins "Der große Diktator", Reiners "Tote tragen keine Karos". Wer es dokumentarisch schätzt, greift zu Resnais' "Nacht und Nebel" und Lanzmanns "Shoah". Wer die Nazi-Oper als Kinofilm liebt, hat sie bei Spielberg in "Schindlers Liste". Heucke wählte die Oper, ohne zu wissen, wie man eine schreibt. Er hat nur komponiert, was er fühlt.

Termine: 19., 24., 30. September, 4., 7. Oktober.

Tel. 02161 / 6151-100

(Rheinische Post)
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