Nachruf auf einen großen Bildhauer Ein Meister der Grenzüberschreitung

Köln · Architekt, Mahner und Urbanist: Dani Karavan war ein äußerst vielseitiger Künstler. Am Wochenende ist der große israelische Bildhauer im Alter von 90 Jahren gestorben.

 Der israelische Bildhauer Dani Karavan ist im Alter von 90 Jahren in Tel Aviv gestorben.

Der israelische Bildhauer Dani Karavan ist im Alter von 90 Jahren in Tel Aviv gestorben.

Foto: dpa/Daniel Karmann

(KNA) „Ich fühle die Dinge zuerst. Dann lasse ich mich leiten“, schilderte Dani Karavan einmal sein Wirken. „Dabei entdecke ich die historischen Wurzeln der Dinge und ihre kulturelle Vernetzung.“ Mit diesem Ansatz schuf der israelische Bildhauer grandiose Kunst in der Landschaft oder Kunst im städtischen Lebensraum. Am Samstag twitterte Ron Huldai, Bürgermeister von Tel Aviv, dass Karavan im Alter von 90 Jahren in seiner Geburtsstadt gestorben sei.

Was bleibt, ist vor allem Karavans künstlerisches Erbe. „Weltweit regen seine Kunstwerke Menschen zum Nachdenken und Hinterfragen an“, würdigte Kulturstaatsministerin Monika Grütters den Verstorbenen. Karavans Arbeiten gehen in besonders sensibler Weise auf den „genius loci" ein und verbinden – über Spannungen hinweg – Zeit und Raum. Oft sind sie dabei begehbar und werden damit belebt. Es sind mahnende Erinnerungen.

In seiner israelischen Heimat schuf Karavan monumentale Landschaftskunstwerke wie das Negev-Brigadedenkmal in Beerscheva und das „Weiße Stadt“-Denkmal in Tel Aviv. Prominentes Beispiel hierzulande ist die 2012 in Berlin zwischen Reichstagsgebäude und Brandenburger Tor eingeweihte Gedenkstätte an die im Dritten Reich ermordeten Sinti und Roma. Im Trubel der Großstadt ein Ort ganz eigener Ruhe, der unvermittelt innehalten lässt.

In Deutschland gibt es eine Reihe weiterer Karavan-Arbeiten, an denen Jahr für Jahr wohl Hunderttausende Besucher vorbeischlendern – ohne unbedingt zu wissen, was sie da vor sich haben. Da sind etwa in Köln die „Ma'alot“ (Stufen) auf dem Heinrich-Böll-Platz zwischen dem Wallraf-Richartz-Museum und dem Museum Ludwig – eine Arbeit, die die Stadt über Jahre verrotten ließ. Granit, Eisen, Ziegelsteine, Schiene, Gras....

Das Kunstwerk, so Karavan, könne nur Widerhall hervorrufen und Assoziationen wecken. „Aber in der Hervorrufung dieses Echos ist das Kunstwerk frei, es hat alle Rechte und jede Freiheit.“ So wird das Werk zu Recht auch als Kölner Holocaust-Mahnmal gelesen. Karavans Großmutter väterlicherseits wurde 1941 in Lemberg von SS-Leuten ermordet, auch andere Verwandte starben in der Shoah.

In Berlin schuf der Bildhauer auch die Installation „Grundgesetz 49“ im Uferbereich zwischen der Spree und den Bundestags-Neubauten. Glasscheiben bringen die 19 Grundrechtsartikel des Grundgesetzes auf Augenhöhe – Fotomotiv für flanierende Touristen, stete Mahnung für die Abgeordneten. Und in Nürnberg ist „Die Straße der Menschenrechte“ am Germanischen Nationalmuseum seit 1993 eine „Mahnung und Anklage der Menschenrechtsverletzungen“ weltweit; zugleich erinnert sie mahnend an die nationalsozialistischen Parteitage und die „Nürnberger Gesetze“ von 1935.

1998 erhielt Karavan den höchstdotierten Kunstpreis der Welt, den als Nobelpreis für Künstler geltenden „Praemium Imperiale“. Als der Künstler sechs Jahre später mit dem angesehenen „Piepenbrock Preis für Skulptur 2004“ geehrt wurde, fasste der damalige Bundestagspräsident Wolfgang Thierse dessen Stil zusammen: Karavan verbinde in seinem Werk Ästhetik und politischen Gehalt. Mit seinen existenziellen Themen sei er ein „eminent politischer Künstler“ und ein „Meister der ästhetischen, aber auch konzeptionellen Grenzüberschreitung“.

Israels damaliger Botschafter Schimon Stein lobte das Schaffen Karavans. Er sei, was übrigens in der israelischen Moderne verbreiteter ist als im europäischen Raum, "Environment-Künstler, Landschaftsgestalter, Architekt, Lichtkünstler, Bildhauer, Urbanist und nicht zuletzt Friedensbotschafter".

Wie sensibel solche Kunst im Raum menschliche Not oder Verzweiflung ausdrücken kann, das zeigt wohl am beeindruckendsten die Arbeit "Passagen" im spanischen Pyrenäenort Portbou. Sie erinnert an den großen Philosophen Walter Benjamin, der sich hier auf der langen Flucht vor der Gestapo verzweifelt das Leben nahm. Und sie erinnert damit auch an so viele unbekannte Opfer. Der Weg ins Nichts, so wirkt es, ist der Weg in die Weite. Und auf einer Glasplatte steht: "Es ist schwerer, das Gedächtnis der Namenlosen zu ehren als das der Berühmten. Den Namenlosen ist die historische Konstruktion geweiht." Stufen, die ins Nichts führen, in dieses Meer, das auch heute vielen zum Grab wird.

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