Kultur zu Corona-Zeiten Moderne Kunst im Video erklärt

Düsseldorf · Zu fast jeder Ausstellung gibt es inzwischen Erklärfilme, in denen Kuratoren oder die Künstler selbst zu Wort kommen. Unsere Kulturredakteure haben ihre Favoriten ausgewählt – für den vierten Teil unserer Serie „Kulturgeschichte im Videoformat“.

  Einer der bekanntesten deutschen Künstler, Gerhard Richter (Archivbild).

Einer der bekanntesten deutschen Künstler, Gerhard Richter (Archivbild).

Foto: dpa/Rolf Vennenbernd

Im Internet kann man sich seine eigene Kunsttour zusammenstellen. Das Schöne an diesem Medium ist, dass man nicht nur ausgreifen kann in den Raum und Schauen in New York oder London zu sehen bekommt. Sondern auch in die Zeit: Längst beendete Ausstellungen sind noch zu erreichen, wenn es natürlich am Monitor auch nicht halb so schön ist, Kunst zu betrachten, wie die Begegnung „in echt“. Wir haben bei Youtube Beiträge gefunden, die empfehlenswert sind, weil darin Gegenwartskunst vermittelt wird.

Marina Abramovic Die Installation „The Artist Is Present“ war das Kunstereignis des Jahres 2010. Marina Abramovic saß über drei Monate hinweg jeden Tag acht Stunden im New Yorker Museum Of Modern Art an einem Holztisch. Besucher konnten sich an das andere Ende des Tischs setzten und Abramovic anblicken. Es wurde nicht gesprochen, und viele der 1000 Besucher, die sich an den Tisch setzten, überwältigte die Aktion derart, dass sie in Tränen ausbrachen. In diesem Video spricht die Künstlerin über ihre Performance. Man erfährt etwas über das Werk der Frau aus Belgrad. Empfohlen seien auch die Kommentare unter dem Clip. Dort diskutieren Nutzer, ob das eigentlich Kunst sei oder lediglich Event. Einer schreibt: Dasselbe könne er auch in der U-Bahn erleben. Aber gratis. (hols)

(„Marina Abramović: Live at MoMA“; Dauer: 2:16)

Gerhard Richter Zum 80. Geburtstag Gerhard Richters im Jahr 2012 versammelte die Neue Nationalgalerie in Berlin 140 Arbeiten des teuersten Künstlers der Welt in chronologischer Hängung zu einer großen Retrospektive. Die Ausstellung, zu der auch die erste Version der Arbeit „4900 Farben“ gehörte, die bis dato nie zu sehen gewesen war, bot einen großartigen Überblick über sein Werk. In dem halbstündigen Video führen Nationalgalerie-Direktor Udo Kittelmann und Kuratorin Dorothée Brill in die Arbeit Richters ein. Der Begriff Komposition wird anhand konkreter Arbeiten erklärt, seine unterschiedliche Bedeutung in Musik und Kunst. Richters Mal-Instrument, der mächtige Rakel, mit dem er die Farben ausstreicht, wird erläutert. Außerdem wiederkehrende Motive in den Bildern Richters. Sehr interessant, man will danach noch tiefer eintauchen in dieses Werk. (hols)

(„Gerhard Richter: Panorama, Nationalgalerie Berlin (2012)“; Dauer: 34:50)

Andreas Gursky Die Londoner Hayward Gallery lud im Januar 2018 zur ersten großen Gursky-Retrospektive in England. Die Schau war auch deshalb so bemerkenswert, weil sie so inspirierend wirkte in Bezug auf das Wesen der Fotografie in der Gegenwart. Sich ein Bildnis machen, was bedeutet das eigentlich? Und worin liegt der Unterschied zwischen Foto und Abbild? 60 maßgebliche Arbeiten von Andreas Gursky waren zu sehen, aus dem Frühwerk ebenso wie aus der Gegenwart. In diesem Video wird die Bedeutung von Gursky anhand der bei Hayward gehängten Bilder erläutert, die Rolle des Betrachtenden in der Kunst, natürlich auch anhand des Klassikers „99 Cent“. (hols)

(„Andreas Gursky at the Hayward Gallery“; Dauer: 11:29)

Jean Tinguely Gern erinnern wir uns an den Coup des großen Bank­sy, als eines seiner Werke direkt nach einer Auktion bei Sotheby’s dem eingebauten Schredder zum Oper fiel. Dieser heitere Moment ist aber nicht singulär in der Kunstgeschichte. Das Phänomen des Autodestruktiven hat im 20. Jahrhundert eine schöne Tradition. Vor 60 Jahren erregte der Schweizer Jean Tinguely Aufsehen, als er eine gigantische Maschine im Garten des New Yorker Museum of Modern Art aufbaute, die aus Schrott zusammengesetzt und in der Lage war, sich selbst zu zerstören. Tinguely (1925 bis 1991), der der sogenannten Kinetischen Kunst den Weg ebnete, war ein vielseitiger Pfiffikus, Maler und Bildhauer – doch in Erinnerung blieb er vor allem mit seinen mobilen Maschinenskulpturen. Wie vergnügt er selbst bei der Sache war, entnimmt man einem herrlichen Youtube-Video aus dem Jahr 1963, auf dem der Künstler den Sinn und Unsinn eines von ihm konstruierten Rasensprengers erklärt. Das Video, das aus dem Archiv des Schweizer Fernsehens stammt, hat bis heute keine Kommentare abbekommen. Man freute sich an Tinguely, es war aber stets eine sprachlose Freude. Man verstand ihn nicht und suchte nach dem tieferen Sinn. Es gab keinen. (w.g.)

(„Jean Tinguelys Rasensprenger (1963) | SRF Archiv“; Dauer: 4:11)

Ai Weiwei Der unschön sperrige Begriff „Autonomous Sensory Meridian Response“ (ASMR), auf Deutsch: autonome, sensorische Meridianantwort, bezeichnet das schöne Gefühl, das Geräusche im Menschen auslösen können. Das kann das Knuspern eines Brötchens sein, das Gluckern einer auslaufenden Wasserflasche – oder die Schritte des Künstlers Ai Weiwei auf seinem Werk „Sunflower Seeds“. Die 2010 enthüllte Auftragsarbeit für die Londoner Tate Gallery war 2019 in der Düsseldorfer Kunstsammlung zu sehen – Betonung auf „sehen“. Denn die Ausstellung hat dem Werk etwas Wichtiges genommen. Um Gesundheitsrisiken durch Stäube, die die Hunderttausenden Keramik-Sonnenblumenkerne beim Betreten womöglich produziert hätten, durfte man „Sunflower Seeds“ nicht anfassen, nicht darauf laufen. Genau diesen Genuss kann man im Video „Ai Weiwei – Sunflower Seeds“ auf dem Tate-Youtube-Kanal erleben. Der Künstler schreitet zu Beginn durch das Meer aus Kernen und vermittelt dem Zuschauer so einen sinnlichen Aspekt seiner Installation. Das Video erklärt außerdem die aufwendigen Fertigung der „Seeds“. (bur)

(„Ai Weiwei – Sunflower Seeds | Artist Interview | Tate“; Dauer: 14:41)

Christo Seine Kunstprojekte haben immer einen großen Vorlauf gehabt. Doch kaum eine seiner Aktionen dürfte derart viel Zeit in Anspruch genommen haben: Von 1971 bis 1995 dauerte die Überzeugungsarbeit, bis der gebürtige Bulgare Christo mit seiner Frau Jeanne-Claude den Berliner Reichstag aufwendig verhüllen durfte. Wer heute die imposanten Bilder dieses temporären Kunstwerks anschaut, wird nicht mehr verstehen können, warum es auch unter durchaus einflussreichen Politikern etliche Kritiker der Aktion gab. Der verhüllte Reichstag markiert einen neuen Anfang des vereinten Deutschlands, den Christo so formulierte: „Unser Werk handelt von Freiheit, und Freiheit ist der Feind allen Besitzanspruchs, und Besitz ist gleichbedeutend mit Dauer. Darum kann das Werk nicht dauern.“ Es gibt unzählige Bilder und Filme von der Aktion, die vom 24. Juni bis 7. Juli dauerte. Der Beitrag auf Youtube lebt von seiner meditativen Ruhe. Unter etlichen professionellen Filmen ist dieser Dokumentation gelegentlich etwas Amateurhaftes zu eigen, die verwackelte Kamera, die nachträgliche Scharfstellung der Bilder. Wir schauen in Gesichter staunender Menschen und sehen eine Welt, die schon sehr vergangen wirkt. (los)

(„Verhüllung des Reichstags von Christo und Jeanne-Claude - Berlin 1995“; Dauer: 10:20)

Joseph Beuys Zum Schluss noch der Düsseldorfer Künstler Joseph Beuys (1921 bis 1986), wie er für seine Performance „I like America and America likes me“ nach New York reist, sich am Flughafen in Filz wickeln und in einem Krankenwagen zur Galerie René Block bringen lässt. Dort sperrt er sich mit einem Kojoten namens „Little John“ drei Tage und Nächte in einem Raum ein. Mensch und Tier beginnen einander vertraut zu werden und eine Beziehung zueinander aufzubauen. Es endet, wie es begann: Beuys lässt sich in Filz einwickeln und im Krankenwagen zum Flughafen bringen. Von Amerika sah er nichts, bis auf den Kojoten. (los)

(„Coyote I / I like America and America likes Me by Joseph Beuys, 1974“; Dauer: 37:27)

Kuratoren erhellen online die Werke großer Maler, Künstler selbst sprechen über die Arbeiten, und das Schöne daran ist, dass man so sehr Lust aufs Schauen bekommt. Zum Glück sind ja die Museen wieder geöffnet.

(hols/w.g./bur/los)
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