München Cornelius Gurlitt - Tod eines Getriebenen

München · Der Münchner wurde 81 Jahre alt. Er hatte eine Kunstsammlung geerbt, deren Werke zum Teil unter Raubkunst-Verdacht stehen.

Jahrzehntelang hatte Cornelius Gurlitt, der jetzt 81-jährig in München gestorben ist, ein Leben im Verborgenen geführt - fernab aller Neugier der Öffentlichkeit, die ihn zuletzt bedrängte. Als dann ein Zeitschriftenbericht ihn und seine vom Vater ererbte Kunstsammlung jäh ans Licht zerrte, war es aus mit der Ruhe. Gurlitt sollte sich rechtfertigten - vor den Medien, vor der Staatsanwaltschaft Augsburg, vor den Anschuldigungen von Menschen aus aller Welt, die auf einmal Anspruch auf einzelne Werke seines Kunstbesitzes erhoben mit der Begründung, es handle sich um jüdischen Besitz. Der alte Herr war in jeder Hinsicht überfordert, doch darauf nahm niemand Rücksicht.

Jetzt ist dieses geheimnisvolle Leben plötzlich Geschichte. Seit Monaten schon war Gurlitt schwerkrank, ohne dass Näheres darüber verlautete. Jetzt müssen alle, die Einzelheiten über das jahrzehntelange Schicksal der Sammlung Gurlitt erfahren wollen, ohne die Unterstützung desjenigen auskommen, der noch am ehesten Antworten hätte geben können.

Über Cornelius Gurlitt selbst hat man zumindest erfahren können, wie sein Leben verlaufen ist. Seine Mutter war Tänzerin, sein Vater Kunsthändler, Kunsthistoriker und in der Nachkriegszeit Direktor des "Kunstvereins für die Rheinlande und Westfalen" in Düsseldorf. Während der braunen Jahre in Deutschland hatte Vater Hildebrand Geschäfte mit den Nationalsozialisten getätigt. Dann vermachte er seinem Sohn eine Kunstsammlung, von welcher der nicht wissen konnte, was er zu Recht, was zu Unrecht besaß: unter anderem Bilder von Picasso, Chagall, Matisse, Beckmann und Nolde.

Cornelius Gurlitt zog aus dieser unsicheren Lage die Konsequenz, dass er sein Kunst-Geheimnis für sich behielt, den Kontakt mit Menschen mied und lediglich dann und wann ein Werk verkaufte, um von dem Erlös seinen Lebensunterhalt zu finanzieren. Denn berufstätig war er nicht.

Gurlitt junior hatte in Hamburg die Volksschule besucht, war mit seiner Familie während des Zweiten Weltkriegs nach Dresden gezogen und dort aufs Gymnasium gegangen. Von 1946 bis 1948 lernte er im Internat Odenwaldschule, nach dem Abitur belegte er an der Universität zu Köln Kunstgeschichte, Philosophie und Musiktheorie, ohne das Studium mit einem Examen abzuschließen. Danach lebte er, wie es scheint, nur noch seiner ererbten Kunstsammlung. "Mehr als meine Bilder habe ich nichts geliebt in meinem Leben", bekannte er in einem Gespräch mit dem "Spiegel".

In Kunstmarkt-Kreisen war, wie man im Nachhinein hörte, schon lange vor der Beschlagnahmung der insgesamt 1500 Werke in Gurlitts Wohnungen in München und Salzburg bekannt, dass es eine "Sammlung Gurlitt" gebe. Denn immer wieder waren aus dieser obskuren Quelle einzelne Bilder in den Handel gelangt - teilweise auch Werke, deren Herkunft verschleiert erschien. Doch in die Öffentlichkeit drangen nur Gerüchte - bis der "Focus" den Fall bekannt machte. Und da sich rasch herausstellte, dass Cornelius Gurlitt den Fragen, die nun auf ihn einstürmten, nicht gewachsen war, ordnete das Amtsgericht München eine vorläufige Betreuung aus gesundheitlichen Gründen an.

Anfang dieses Jahres legten Gurlitts Anwälte beim Amtsgericht Augsburg Beschwerde gegen die Beschlagnahmung seiner Kollektion ein. Sie forderten die Rückgabe der Sammlung wegen formeller Mängel des damaligen Gerichtsbeschlusses. Nachdem Gurlitt dann bekanntgegeben hatte, dass er alle Bilder, die aus jüdischem Besitz geraubt worden waren, an die Eigentümer oder deren Nachfahren zurückgeben wolle, kam es vor einem Monat zu einer Vereinbarung zwischen Gurlitt, dem bayerischen Justizministerium und der Bundesregierung. Diesem Pakt zufolge stellte Gurlitt alle strittigen Werke für ein Jahr der Provenienzforschung zur Verfügung. Alle unstrittigen sollten ihm zurückgegeben werden.

Unmittelbar nach Entdeckung der Sammlung hatten einige Medien von Cornelius Gurlitt das Bild eines Mannes gezeichnet, der allein sein eigenes Wohl im Sinn hatte und das Leid der Juden im "Dritten Reich", das offensichtlich im Zusammenhang mit etlichen seiner Bilder stand, aus seinem Bewusstsein ausblendete. Das aber stimmt nicht. Bereits zwei Jahre vor der Entdeckung der Kollektion verkaufte Gurlitt für 864 000 Euro dem Kölner Auktionshaus Lempertz Max Beckmanns Gouache "Löwenbändiger". Da das Auktionshaus den Verdacht hegte, der jüdische Kunsthändler Alfred Flechtheim habe das Bild nach 1933 verfolgungsbedingt verkauft, einigte sich Gurlitt mit Flechtheims Erben darauf, den Verkaufserlös mit ihnen zu teilen.

Das Erbe des kinderlosen Cornelius Gurlitt wird nun nicht an den Staat fallen. Bereits als vor einem halben Jahr das Gerücht aufkam, Gurlitt kenne womöglich das Versteck des verschollenen Bernsteinzimmers, war die Rede von einem damals 64-jährigen Cousin Ekkehart Gurlitt, dem Cornelius das Geheimnis vor 30 oder 40 Jahren anvertraut habe.

Vielleicht war es Cornelius Gurlitt ein Trost, dass seine geliebte Sammlung in Familienbesitz bleibt, sofern sich die Werke rechtmäßig darin befinden. Schon jetzt wird man sagen können: Zum Buhmann, als den ihn manche malten, taugte er nicht.

(RP)
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