Claude Lanzmann blickt zurück

Er war der Weggefährte von Jean-Paul Sartre, der Liebhaber von Simone de Beauvoir und Schöpfer des großen Film-Epos' "Shoah". Jetzt hat der 84-jährige Franzose seine Lebenserinnerungen geschrieben. Eine Begegnung auf der Frankfurter Buchmesse.

Frankfurt/M. Er ist kein Mann der flinken Antwort. Und wenn Claude Lanzmann die geeigneten Worte versammelt hat, ist es, als ob manches aus hinteren Kammern unserer Vergangenheit hervorgezaubert wird. Das stellt jeden Satz auf einen kleinen Sockel, und wer daraus eine gute Portion Selbstbewusstsein ableitet, liegt nicht ganz falsch.

Für viele ist der Name Claude Lanzmann gleichbedeutend mit dem Titel eines epochalen Films: "Shoah" – ein neunstündiges Dokument der Verfolgung und Vernichtung der Juden. Ein Meisterwerk, und der heute 84-Jährige ahnte es früh: "Wie wichtig dieser Film sein wird, wusste ich schon, während ich daran gearbeitet habe." Sicher, es gab Momente der Entmutigung in den zwölf langen Jahren seiner Produktion, wenn wieder einmal das Geld ausgegangen war. Und als er es endlich geschafft hatte, dachte Lanzmann, dass "Shoah" wahrscheinlich dreitausend Menschen sehen würden; er wäre damit durchaus glücklich und zufrieden gewesen, sagt er uns im Gespräch auf der Buchmesse. Es sind etliche Millionen geworden.

Natürlich spielt "Shoah" (1985) eine gewichtige Rolle in seinen fast 700 Seiten zählenden Lebenserinnerungen, die jetzt unter dem Titel "Der patagonische Hase" publiziert und in Frankfurt vorgestellt wurden. Eine riesige Kraftanstrengung für den 84-Jährigen, die er dadurch zu mindern wusste, dass er den gesamten Text diktierte. "Während des Diktier-Vorgangs habe ich aber immer mehr Spaß daran bekommen und auch gemerkt, dass ich echte Literatur schaffe. Und so ist es dann auch gekommen, dass ich Sachen erzählt habe, die ich eigentlich gar nicht erzählen wollte – von meiner Kindheit zum Beispiel."

Aber warum überhaupt das gelebte Leben noch einmal im Buch verdoppeln, zumal es ihn nach eigenem Bekunden danach nie wirklich gedrängt hat? Es waren – wie so oft – die Freunde, die einige Episoden kannten und alles wissen wollten. Ihnen sei Dank für ihren hartnäckigen Zuspruch, denn diese Lebenserinnerung ist ein beeindruckendes Dokument für das 20. Jahrhundert geworden, für all das Leid und den Schmerz, aber auch für das Abenteuer des wilden Denkens.

Claude Lanzmann ist genau dafür einer der wichtigsten Zeugen, der nach dem Krieg Freund und intellektueller Weggefährte von Jean-Paul Sartre wird, zeitweilig auch der Geliebte von Simone de Beauvoir. Wenn er über sie zu sprechen beginnt, signalisiert sein neuer Tonfall unmissverständlich, dass die Erinnerung an diese Liebe stets mehr als nur das Kapitel eines großen Buches sein werden: "Von Simone hat mich nie etwas getrennt. Auch als unsere eigentliche Liebesbeziehung vorbei und eine tiefe Freundschaft geworden war, habe ich sie bis zu ihrem Tod wenigstens zweimal in der Woche gesehen."

Das hört sich bei Sartre schon etwas anders an. Zwar nennt er ihn einen der großartigsten Denkmaschinen, die man sich nur vorstellen kann. Aber ihr Verhältnis ist mit den Jahren schwieriger geworden. Und: Sartre hat keinen seiner Familie sehen können, da er im Alter erblindet war. Sein Lebenswerk konnte er ausgerechnet nicht mehr jenem zeigen, dessen Meinung ihm am meisten bedeutet hätte. Was das heißt, spiegeln die Selbstkommentare zum Filme, den er ohne jede Scheu als "eine ewige Mauer gegen das Vergessen" beschreibt.

Es finden sich große Sätze in diesem Buch wie "Die Zeit hat nie aufgehört, nicht zu vergehen." Sein ganzes Lebensgefühl ist darin eingefangen. "Sehen Sie – und das ist keine Koketterie –, ich habe auch jetzt kein Gespür für mein Alter und bin erheblich jünger als meine 84 Jahre", diktiert er uns.

Sein eigener Lebensfilm erzählt indes von einer anderen Zeitspanne: Von seinen Jahren in Tübingen und Berlin, seiner Leidenschaft für Hegel und Fichte, dessen Gräber er besuchte. Ein anderer Gedächtnisort aber ist ihm noch wichtiger: Der Landwehrkanal in Berlin, in den man die ermordete Rosa Luxemburg geworfen hat. Sein Ton ist jetzt wieder vorsichtiger geworden, fast so, als rede er allein von ihr, von Simone de Beauvoir.

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