Düsseldorf Ciulli spielt Else

Düsseldorf · Der Gründer des Theaters an der Ruhr inszeniert in Düsseldorf einen Abend zu Ehren von Else Lasker-Schüler und ist selbst auf der Bühne zu erleben - in der Rolle der Autorin. Ein Probenbesuch.

Düsseldorf: Ciulli spielt Else
Foto: Sebastian Hoppe

Der alte Gaukler ist geschminkt. Matt schimmert der Puder in Roberto Ciullis Gesicht. Er trägt einen dunklen Mantel, darunter lugt ein blaues Kleid hervor, die langen weißen Haare fallen ihm über die Schulter. Kurz spricht Ciulli mit dem Inspizienten, mit dem Tonmeister, dann schickt er seine Schauspieler, die noch schwatzend in den Zuschauerreihen stehen, hinter die Bühne. Es wird dunkel im Saal. Lichtkegel auf einen Stuhl. Ciulli nimmt Platz, zwei junge Mägde, gekleidet wie um die Jahrhundertwende, hocken zu seinen Füßen. Sie spielen mit Knöpfen, genau wie die Dichterin Else Lasker-Schüler als Kind. Damals, Ende des 19. Jahrhunderts in Wuppertal, kam sie manchmal fast um vor Langeweile - bis sie mit Hilfe der Knöpfe die Sprache als Spielzeug entdeckte, als Reich der unendlichen Möglichkeiten. Ciulli erzählt den Mädchen zu seinen Füßen davon. Wie ein Großvater. Ein nostalgisches Genrebild geben sie ab, der alte Mann und die Stubenmädchen. Unmerklich hat die Probe begonnen.

Roberto Ciulli ist zurückgekehrt ans Düsseldorfer Schauspielhaus. Unter der ersten Intendanz von Günther Beelitz hat er dort 1979 bis 1981 als Regisseur gearbeitet. Zuvor war er Schauspieldirektor in Köln gewesen, doch in all den Jahren hatte der in Mailand geborene Philosoph und Regisseur immer klarer gesehen, dass seine Idee vom kollektiven Theatermachen schlecht zum deutschen Stadttheater-System passt. Also gründete er mit dem Dramaturgen Helmut Schäfer und dem Bühnenbildner Gralf-Edzard Habben in Mülheim das Theater an der Ruhr, für das er inszeniert, in dem er manchmal spielt und das er leitet. Seit 35 Jahren. Ciulli ist 81 Jahre alt.

Und nun hat ihn Günther Beelitz als zurückgekehrter Intendant in Düsseldorf für eine Coproduktion gewonnen. Morgen hat Lasker-Schülers Drama "Die Wupper" Premiere im Central am Hauptbahnhof. Große Bühne, großes Ensemble aus Mülheim, drei Darsteller aus Düsseldorf und Roberto Ciulli in diversen Rollen - unter anderem als Lasker-Schüler selbst. Mal sitzt sie nur am Bühnenrand und schaut ihren Geschöpfen beim Spielen zu, eine einsame Alte, eine wunderliche Frau. Mal tritt sie auf den Plan: Roberto Ciulli, wie er einen alten Kinderwagen über die Bühne schiebt. Oder wie er Vögel füttert, sie lockt und bezirzt und eine kindliche Freude hat an ihrem Gurren, Zirpen und Flattern.

Die Autorin zu spielen, sei genauso eine Unmöglichkeit wie "Die Wupper" zu inszenieren, wird Ciulli nach der Probe sagen, "aber wir bringen ihre Texte auf die Bühne, Bruchstücke, Bilder. Und ich spiele sie, weil ich ein Mann bin und weil das die nötige Distanz schafft, um sie als Mensch wahrzunehmen." Für Ciulli ist es ein Skandal, dass die jüdische Autorin und literarische Avantgardistin in Deutschland fast vergessen ist. "Man muss ihre Gedichte lesen, an ihr Leben erinnern. Sie hat sich den Blick des Kindes auf die Welt bewahrt bis zum Tod. Sie ist allen auf die Nerven gegangen. Das ist unglaublich kostbar für unsere Zeit."

"Die Wupper" erzählt in episodischen Splittern vom Niedergang einer Industriellen- und einer Proletarier-Familie in Wuppertal, vom Zerfall sozialer Strukturen zu Beginn des 20. Jahrhunderts also. Das expressionistische Stück wirkt, als habe die Autorin ihrer Gegenwart einen zerborstenen Spiegel vorgehalten, in dessen Bruchstücken die beschädigte Wirklichkeit von damals zum Vorschein tritt. Und ein bisschen auch die von heute.

Solche Texte sind bestes Futter für Ciulli-Theater, das oft assoziativ arbeitet, dem Zuschauer selbstbewusst Leerstellen und Fragwürdigkeiten zumutet und ihn mit traumtänzerischen Bilderwelten belohnt. So tauchen auch in der Performance, die Ciulli und sein Team zu "Die Wupper" entworfen haben, andere Figuren auf, die mit Wuppertal und verkannter Avantgarde zu tun haben. So gibt es etwa Anklänge an das Tanztheater von Pina Bausch, an Stücke wie "Café Müller".

Die Lasker-Schüler musste bei Lesungen in Wuppertal um Ruhe bitten, bei den ersten Aufführungen von Pina Bausch verließ das Publikum den Saal. Und so hat es eine große Melancholie, wie Ciulli all das ins Spiel bringt - verkleidet als Frau, mit den roten Lippen eines Clowns und der traurigen Komik eines Rebellen. "Der Clown in mir ist sehr alt: Die blutige Nase habe ich mir schon sehr früh verdient", wird Ciulli nach der Probe noch sagen. Auch er habe erlebt, dass die Leute seine Stücke verließen. Bei seiner "Lulu" in Düsseldorf etwa seien nach jedem Satz Leute gegangen. "Einem Künstler muss das egal sein", sagt Ciulli. Und lächelt. Und geht zurück zu seinen Schauspielern. Und setzt die Probe fort.

(dok)
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