Weltklasse-Orchester in Köln Allerhöchste Orchesterkunst
Köln · Das Chicago Symphony Orchestra gastierte unter Riccardo Muti mit einem reinen Prokofieff-Programm in der Kölner Philharmonie.
Es gibt sehr gute Orchester. Es gibt exzellente Orchester. Es gibt grandiose Orchester. Und es gibt das Chicago Symphony Orchestra.
Es ist eine Rarität im internationalen Klassik-Jet-Set, ein Orchester von bisweilen fast irrealer Kompetenz, Anlass für Hysterie selbst unter hartgesottenen Freaks. Das CSO könnte im Konzert die zweistündige Suite „An der Stadtmauer von Taschkent“ des usbekischen Komponisten Rustam Yanovsky spielen, es wäre trotzdem ausverkauft.
Diesmal in der Kölner Philharmonie – dem ersten Konzert des CSO dort seit 19 Jahren – spielten die musizierenden Kapitäne vom Michigansee nach der Pause die Symphonie Nr. 3 c-Moll von Serge Prokofieff, ein zähes, undurchdringlich wirkendes Werk, das man sich daheim kaum freiwillig in den CD-Player legen würde. Im Konzert war es eine Offenbarung, weil zwei Dinge zusammenkamen, die der Interpretation einen gewaltigen Schub verpassten.
Zum einen war da die den Hörer schier erhitzende Eiseskälte des Orchesters, das sich keine Nuance der Klangfarben, der Rhythmen, der spröden Melodik entgehen ließ. Der fast phosphoreszierende Sound des Scherzos überwältigte (das fraglos als Soundtrack für die Duschszene in „Psycho“ funktionieren könnte).
Zugleich erlebte man die Suggestivität der Gelassenheit, die der große Riccardo Muti am Pult vermittelte. Das Musizieren krampfte nicht, es hing nicht das Etikett „Thriller“ dran, vielmehr stand man in einem Bach, genoss die Musik, die aber derart unmerklich anflutete, dass man plötzlich bis zum Hals im Wasser stand. Die cinematografische Wucht dieses Zugriffs war auf humane Weise niederschmetternd.
Vor der Pause – es war ein reiner Prokofieff-Abend – erklang die „Romeo und Julia“-Suite, von der ein bravouröser, fünf Jahre alter Mitschnitt mit CSO und Muti vorliegt. Abermals gab Muti nicht den Schauspieler, der dem Publikum beweisen will, wie fit und wendig er mit 78 Jahren noch ist, sondern machte durch Souveränität klar, dass die Geschichte um Romeo und Julia auch eine noble, adlige Seite hat und nicht nur vor Herzschmerz trieft, vor Leidenschaft vibriert.
Das CSO, abermals überwältigend durch Luxus und Brillanz, durchmaß die Story mit zahllosen kostbaren Details, von denen man den Enkeln oder Patenkindern am Morgen nach dem Konzert sofort erzählen möchte. Schon der Beginn mit den flimmerhärchenfeinen Streicherakkorden oder die Momente der perfekt abgefederten Gewalt in „Tybalts Tod“ machten klar, wie hoch die Laternen von Verona an diesem Abend hingen. Erschütterter Beifall, als Zugabe Skrjabins „Rêverie“. Ja, von diesem Konzert werden wir noch lange träumen.