Candida Höfer – die Fotokünstlerin der klaren Formen

Sie zählt zu Deutschlands bekanntesten Fotografinnen: Candida Höfer, die in der legendären Becher-Klasse ihre Kunst lernte und deren Düsseldorf-Fotos in einer Werkschau demnächst im Museum Kunstpalast gezeigt werden.

Und doch gehören die Bilder "Türken in Deutschland", diese schwarz-weißen Momentaufnahmen von Alltags- und Straßenszenen, zum Werk der Köln-Düsseldorfer Fotografin. Zum Frühwerk allerdings.

Und dazu müssen wir jetzt im Kalender fast 40 Jahre zurückblättern. Es ist das Jahr 1975, und im Tunnelraum der Düsseldorfer Galerie Konrad Fischer stellt eine noch unbekannte Künstlerin ihre Fotoserie "Türken in Deutschland" aus. Sie heißt Candida Höfer, ist 31 Jahre alt und immer noch auf der Suche nach einem tragenden Medium, auf der Suche auch nach dem richtigen Sujet.

Bis dahin hat sie schon eine Wegstrecke der Erkundung hinter sich gebracht: Sie hat ein Volontariat im Kölner Fotostudio Schmölz-Huth absolviert, hat an der Kölner Werkschule künstlerische Fotografie studiert und war in Hamburg als Werbefotografin tätig. Als sie bei Fischer ausstellt, ist sie schon in der Düsseldorfer Akademie angekommen. Und dass sie bei Ole John diesmal in der Filmklasse gelandet ist, hat einen einfachen Grund: Fotografie wird an der Kunstakademie erst ein Jahr später angeboten. Das ist die heute berühmte Becher-Klasse; und dort beginnt Höfer, ihre Motive zu lernen und zu finden.

"Türken in Deutschland" ist also aus der Vor-Becher-Zeit; und dass wir die Bilder nun sehen können, ist einer bemerkenswerten Ausstellung zu verdanken, die ab 14. September im Museum Kunstpalast zu sehen ist und einfach nur "Candida Höfer — Düsseldorf" heißt.

Aber was heißt hier "nur"? Candida Höfer — Tochter des Fernseh-Journalisten Werner Höfer — hat die meisten der späteren Bilder nach den Entstehungsorten benannt. Nicht aus Einfallslosigkeit, sondern aus der Überzeugung, dass dem Ort auch die Bedeutung seiner Abbildung innewohnt. Diesmal werden im Museum die Düsseldorf-Bilder aus beinahe vier Jahrzehnten versammelt — was für ein Bogen da geschlagen wird und an welch ominösem Ort! Denn Düsseldorf hat einen Sonderstatus für die Fotografin. Düsseldorf steht bei ihr für Nähe. "Und ,Nähe' steht im Gegensatz zu ,Ferne', das heißt, das aufwändige Reisen zu Orten, das Teil der Arbeit in diesen fernen Orten ist. Meine Erfahrung ist, dass mir das ,Ferne' leichter fällt als das ,Nahe'. Düsseldorf war eine notwendige Herausforderung, mich mit Nähe zu beschäftigen."

Und dadurch auch mit der eigenen Arbeit. Candida Höfer setzt sich mit der Düsseldorfer Werkschau der Wiederbegegnung mit ihren früheren ästhetischen Sichtweisen aus; es ist eine Auseinandersetzung mit dem eigenen Bildarchiv. "Ja, es gehört zum ständigen Suchen nach dem, was vor mir selbst als Qualität bestehen kann", sagt sie uns — und: "Für mich ist künstlerisches Arbeiten beständig und gleichermaßen Auseinandersetzung mit dem, was man machen möchte, und dem, was man schon gemacht hat. Das Ausstellen alter Arbeiten in neuer Form ist auf diese Weise ganz gegenwärtiges Arbeiten."

Unter all den berühmten Becher-Schülern — den Gurskys, Ruffs und Struths — ist Candida Höfer die intellektuelle Fotografin, die sich zum Foto entschließt, wenn es in ihrem Kopf zuvor schon entwickelt wurde und also vorhanden ist. Das Bild als Schlussstein eines Werkprozesses. So sind die Motive auch nicht der Schönheit, der Einzigartigkeit oder irgendeiner Skurrilität verpflichtet; sie sind ikonografische Entscheidungen.

Den Bildern wohnt damit eine gute Portion Reflexion inne — wie auch den in der Schau gezeigten Selbstporträts: Candida Höfer gespiegelt in Fensterscheiben; und dass es dabei ausgerechnet Schaufenster sind, scheint dem Entstehungsort Düsseldorf in besonderer Weise Rechnung zu tragen.

Berühmt sind andere Höfer-Bilder. Die von menschenleeren Innenräumen — wie das Schauspielhaus und das Foyer des Düsseldorfer Dreischeibenhauses, wie das Benrather Schloss, das Museum Kunstpalast und die Akademie. Darin steckt mehr als nur jene Melancholie, die den Bildern ihrer Lehrer innewohnt. Die Fotografien alter Industrieanlagen von Bernd und Hilla Becher waren Dokumente der westdeutschen Nachkriegszeit, wurden zur Erinnerung an eine schon wieder abgeschlossene Wiederaufbaukultur und zum Überbleibsel einer gleichermaßen utopischen wie ambitionierten Industrialisierung. Höfers Sachlichkeit ist konzentrierter. Die Ordnung und die Struktur ihrer Motive — noch gesteigert durch die Wiederholung in Bilderserien — hat auch etwas mit Bewahren zu tun. In ihren Bildern ist etwas zum Stillstand gekommen. Wir sehen Fotos von Räumen, die ohne Menschen auskommen und doch ohne Menschen undenkbar sind. Wir sehen einen Moment, der es verdient, gesehen zu werden — in stets repräsentativen Räumen: Sie stehen immer für etwas. Und oft sind es Zeugnisse möglicherweise bedrohter Welten: Museen, Archive, Bibliotheken.

Das ist zugleich eine Schule des Sehens. Denn bei aller Klarheit des Bildes und seiner Struktur — unsere Sicht bleibt beschränkt. Die Zentralperspektive ist zwar erhaben, aber bewusst gewählt. Jedes Bild ist also kunstvoll und akribisch arrangiert; jedes Bild verschweigt uns dabei etwas. Was es ist, können wir nicht sehen. Aber wir können solche Leerstellen erahnen, sogar mit den Höfer-Fotos. Denn zu häufig finden sich bei ihr Bilder mit herabgelassenen Jalousien und Vorhängen, als dass man sie zufällig nennen könnte. Sie funktionieren vielmehr als bewusste Sichtblockaden; sind Hinweise auf die Undurchschaubarkeit der Wirklichkeit. Die Fotos von Candida Höfer sind existenzielle Bilder, und darin findet sich die Brücke zwischen den so ungewöhnlich erscheinenden Fotos von Düsseldorfer Türken zu ihren späteren strengen Raumbildern. Denn trotz der Menschen sind die Bilder des Frühwerks im Grunde menschenleer: als Dokumente entfremdeter Existenzen.

Eine Überraschung noch zum Schluss: Als es noch keine Fotoklasse an der Kunstakademie gab und Candida Höfer ihr Glück in der Filmklasse suchte, entstand zusammen mit dem Performance-Künstler Tony Morgan ein kleiner Film, genauer: ein ganz kleiner Film. Nur vier Minuten dauert er. Und seine "Weltpremiere" darf er in der neuen Ausstellung feiern.

"Da Forno 1975" heißt er, ein Titel, der eigentlich alles sagt: Er entstand 1975 und wurde gedreht im Düsseldorfer Eiscafé "Da Forno". Warum ausgerechnet dort? Damals wie heute war das Eiscafé im Düsseldorfer Stadtteil Pempelfort ein Künstlertreff. Außerdem: "Ich wohnte in der Nähe. Das Eis war gut. Sie hatten nichts dagegen, dass der Film dort gemacht wurde", sagt sie lapidar.

Und so ist auch der Film. Abwechselnd sitzen Höfer und Morgan vor der Kamera und trinken an den kleinen Marmortischchen (die noch heute dort stehen) jeweils einen Cappuccino. Wobei Höfer helle Freude am Zuckern hat und am Ende sogar den Deckel des Streuers abdreht, damit sie ihrem Kaffee eine kräftige Versüßung gönnen kann. Dabei lacht und kokettiert sie, setzt sich neckisch in Pose. Und auch das soll Candida Höfer sein, die eher als scheu bekannte Fotokünstlerin? Ja, auch das.

(RP)
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