Tapfere Unternehmer Unabhängige Buchläden in den USA trotzen Amazon

New York · In den USA trotzen Buchhandlungen dem Giganten Amazon. Der berühmte „Strand Bookstore“ in New York hat dennoch Probleme.

 „The Strand Bookstore“ am Broadway in Manhattan, New York. Links unten: Protestplakat – „Schützt den Strand“. Die Eigentümerin der Buchhandlung kämpft darum, dass das Gebäude nicht unter Denkmalschutz gestellt wird.    Fotos: dpa, F. Herrmann

„The Strand Bookstore“ am Broadway in Manhattan, New York. Links unten: Protestplakat – „Schützt den Strand“. Die Eigentümerin der Buchhandlung kämpft darum, dass das Gebäude nicht unter Denkmalschutz gestellt wird. Fotos: dpa, F. Herrmann

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Das Zeichen des Widerstands ist nicht zu übersehen. Sie haben es gleich am Eingang platziert, neben den Regalen, in denen unter roten Markisen die Ein-Dollar-Bücher stehen. „Protect the Strand“, „Schützt den Strand“, ist in Großbuchstaben auf dem Protestplakat zu lesen.

Man sei bereits ein Wahrzeichen, man müsse nicht erst zu einem erklärt werden, hat Nancy Bass Wyden, die Besitzerin des „Strand“, neulich angemerkt. Da tagte die Landmarks Commission, die Behörde, die darüber entscheidet, ob ein Gebäude in New York unter Denkmalschutz gestellt wird. Nach deren Willen soll auch der „Strand“ Schutzstatus erhalten. Eine Buchhandlung in Greenwich Village, angesiedelt in einem Elfstöcker, der 1902 errichtet wurde, im selben Jahr wie das berühmte Flatiron Building mit seiner markanten Bügeleisenform. Es war die Zeit, als man in Manhattan in großem Stil begann, Hochhäuser zu bauen, im Grunde Stahlskelette mit Steinfassade. Und weil das in der Geschichte New Yorks so ein Meilenstein war, möchten sie im Rathaus gern unverändert bewahren, was daran erinnert. Auch den „Strand“, Broadway Nr. 828, seit gut 20 Jahren im Besitz der Familie Bass.

Dass sie nichts von der Idee hält, hat Nancy Bass Wyden, Buchhändlerin in dritter Generation, bei einem Bürgerforum mit den Nöten ihrer Branche begründet. Man arbeite schon mit derart geringen Gewinnspannen, argumentierte sie, dass man sich eine zusätzliche Bürde nicht leisten könne. Wäre man erst ein amtlich deklariertes Wahrzeichen, bräuchte man für jede noch so kleine Änderung eine Genehmigung, was unnötig Zeit und Aufwand koste. Bass Wyden würde den „Strand“ gern um ein Café erweitern, wie es auch andere Buchhandlungen tun, um ihr Überleben zu sichern. Dazu möchte sie irgendwann eine separate Eingangstür einbauen lassen. Die Landmarks Commission könnte ihr einen Strich durch die Rechnung machen. Deshalb das Protestposter neben den Ein-Dollar-Büchern. Jeff Bezos, der reichste Mann Amerikas, sagt Bass Wyden, kassiere drei Milliarden Dollar an Subventionen, dafür, dass er das zweite Hauptquartier von Amazon in New York ansiedle. „Ich will keine Staatssubventionen, keinen Steuernachlass. Ich will einfach nur in Ruhe gelassen werden.“

Wer im „Strand“ das Buch, das er suche, nicht finde, werde es wahrscheinlich nirgends finden, hat Fred Bass, Nancys vor zwölf Monaten gestorbener Vater, einmal Reklame für seinen Laden gemacht. „18 Miles of Books“, lautet ein Werbespruch. Reihte man alles aneinander, was in den Regalen steht, ergäbe es eine Kette von 18 Meilen, was knapp 29 Kilometern entspricht. Der „Strand“, schwärmt die Schriftstellerin Fran Lebowitz, sei ein Denkmal der Unsterblichkeit des geschriebenen Wortes.

Die Geschichte des „Strand“ beginnt 1927, zwei Jahre vor dem Börsencrash an der Wall Street. In Greenwich Village beginnt Benjamin Bass mit Büchern zu handeln. Bass investiert 300 Dollar seines Ersparten, leiht sich weitere 300 von einem Freund und gründet „The Strand Book Store“, benannt nach einer Londoner Prachtstraße. Es läuft gut, 1956 verlegt Bass sein Geschäft in ein größeres Domizil, in das heutige. 1996 kauft sein Sohn Fred das Haus, um nicht potenziell immer höhere Ladenmieten zahlen zu müssen.

Das Phänomen ist: Der „Strand“ ist unabhängig. Nicht Teil einer größeren Kette. Bisher hat er bestanden im Kampf gegen den Online-Riesen Amazon, was umso bemerkenswerter ist, weil Amerika keine Buchpreisbindung kennt, sodass Amazon die Konkurrenz oft deutlich unterbieten kann. Und während den alten Schwergewichten der Branche, Ketten wie „Barnes & Noble“, der Atem ausgeht, schlagen sich die Unabhängigen wacker, hier und da feiern sie sogar ein beachtenswertes Comeback.

In Washington erfreut sich „Politics & Prose“, 2011 übernommen von einem Journalisten-Ehepaar so großer Beliebtheit, dass man mittlerweile drei Läden betreibt. Jonathan Franzen, Jeffrey Eugenides, Salman Rushdie: Wer in Amerika einen Roman geschrieben hat, liest in aller Regel auch im „Politics & Prose“ daraus vor. Einer Institution. „Busboy and Poets“, 2005 gegründet von einem Iraker namens Andy Shallal, kombiniert Buchhandlungen mit Restaurants. Dann wäre da noch Jim Toole, ein Washingtoner Original, der vor wenigen Monaten, im Alter von 81 Jahren, seinen „Capitol Hill Bookshop“ einer Gruppe von Mitarbeitern und besonders treuen Kunden vermachte.

Zurück in New York. „Berl’s Poetry Shop“ – die Nische schlechthin. Draußen rattern U-Bahn-Züge über die Manhattan Bridge, wobei der Lärm nichts daran ändert, dass dies eines der angesagtesten Viertel von Brooklyn ist, des Stadtteils, der lange so etwas wie die biedere Schwester der glamourösen Wolkenkratzerinsel Manhattan war. Dumbo heißt das Viertel, eigentlich Down Under the Manhattan Bridge Overpass, was allerdings kein Mensch sagt. Boutiquen, Lofts in alten Lagerhäusern, dahinter der East River. Ein teures Pflaster. Hier haben Jared White und Farrah Field, beide Poeten, 2013 eine auf Poesie spezialisierte Buchhandlung gegründet, nachdem sie jahrelang auf Flohmärkten Gedichtbände aus kleinen Verlagen angeboten hatten.

An einem regnerischen Winterabend dreht sich dort alles um Tscheburaschka. Auf die Kante eines Sofas hat jemand ein Plüschtier gesetzt, halb Äffchen, halb Kobold, ausgestattet mit übergroßen Ohren, melancholischen Kulleraugen und scharfen Krallen. Tscheburaschka war die Antwort der Sowjetunion auf Mickey Mouse. Im „Poetry Shop“ dient das Fabelwesen an diesem Abend als Klammer. Eingeladen ist das „Tscheburaschka-Kollektiv“, um, so wörtlich, die Poesie der sowjetischen Diaspora zu präsentieren, Gedichte und Erzählungen aus der Migrantenperspektive.

Luisa Muradyan kam im Alter von vier Jahren aus Odessa in die USA. „Wir waren Kosmonauten“, beginnt sie mit der Titelzeile eines ihrer Gedichte und beschreibt, wie sie im Abschiedsschmerz, vor dem Aufbruch nach Amerika, auf diesen gewissermaßen fremden Planeten, die einzigen Wörter herausheulte, die sie damals auf Englisch kannte. „Oh Gott! Oh Pepsi! Oh Cheerios! Oh America!“ – „Ins Weltall zu reisen, es war die ultimative Auswanderung.“

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