Stange-Biographie: Elfmeter verschossen

Das Buch handelt, unter anderem, von Fußball. Bleiben wir also in der Sprache des kickenden Gewerbes. Der Journalist und Publizist Heiko Mallwitz hat eine Biographie geschrieben über Bernd Stange - und schoss leider vorbei.

Denn eigentlich kommt eine Biographie über Bernd Stange einem Elfmeter gleich: Stange — DDR-Nationaltrainer; Bundesligacoach, dann in Stasi-Enthüllungen verwickelt und im heimischen Geschäft nicht mehr vermittelbar; Ukraine, Australien, der Oman; zurzeit das Aufsehen erregende Engagement im Irak. Autor Heiko Mallwitz hat sich den Ball zurecht gelegt und einen langen Anlauf genommen. Leider vergebens.

Denn Mallwitz' Biographie fehlt Elementares: Distanz zum "Objekt" und Gründlichkeit. Zu oft verlässt Mallwitz seine Betrachterperspektive, zu oft ist schlicht von "dem Bernd" die Rede, zu oft scheinen Brüche (wie eine Entlassung) allein das Ergebnis unglücklicher Umstände, die Stange um den verdienten Lohn seiner Arbeit brachten. Dazu kommt: Das Werk scheint mit heißer Nadel gestrickt worden zu sein, es wimmelt von sachlichen und grammatikalischen (!) Fehlern, was die Lektüre oftmals zu einem Ärgernis werden lässt und die Frage aufwirft, ob der Verlag am Lektor gespart hat.

Trotzdem: Der Hader lohnt sich

Und doch lohnt sich der Hader: Denn zu betrachten ist eine Trainerpersönlichkeit, deren Biographie nicht alleine von Abseits und Abstieg, sondern auch von Weltpolitik bestimmt wurde. Zeit seines Trainerlebens stand der Fußballlehrer Stange unter Einfluss der Politik: Ob als Nationaltrainer der DDR, als Sportdirektor bei Hertha BSC oder, jetzt mehr denn je, seit seinem Amtsantritt als Nationaltrainer des Iraks 2002. Darf man Nationaltrainer unter Saddam Hussein werden, war die zentrale Frage, mit der sich Stange in der veröffentlichten Meinung um die Jahreswende 2002/2003 auseinander zu setzen hatte. Ob man dies darf, beantwortet Mallwitz nicht, wie auch?

Aber das Buch legt die Beweggründe nahe, warum der einst jüngste Nationalcoach der DDR den Job dennoch annahm: Stange bekam im deutschen Profifußball keine Chance mehr, nachdem 1995 seine Tätigkeit als "Inoffizieller Mitarbeiter" der Stasi öffentlich geworden war. Stange wollte arbeiten und Geld verdienen. Das konnte er zum damaligen Zeitpunkt nur im Irak. Mallwitz schildert detailliert, unter welch abenteuerlichen Umständen der Vertrag unterzeichnet wurde, wie sich Stange drei Klauseln zusichern ließ (1. alleinige sportliche Verantwortung, 2. sofortige Ausreisemöglichkeit bei einem Kriegsbeginn, 3. politische Neutralität) und wie Stange seine Arbeit aufnahm, auch gegen die teils polemische Kritik aus aller Welt, vor allem aber aus Westdeutschland.

Weltpolitik im Nebensatz

Dass der Autor den Leser dabei aber mit deutlich antiamerikanischem Unterton quasi im Nebensatz über die große Weltpolitik aufklären will, nervt. Kostproben: "Nach dem Überfall auf Kuwait und den Giftgasangriffen gegen Kurdistan im Nordirak [schon chronologisch falsch, d. Verf.] wechselten die Amerikaner die Seiten. Kuwait wurde befreit. Der irakische Teil Kurdistans autonom. Saddam aber wurde nicht gestürzt, warum auch immer" (Seite 17). "Nach dem 11. September haben sich Bush junior und seine Krieger neben Afghanistan auch auf den Irak festgelegt als potenziellen Gegner" (Seite 18). Und: Colin Powells "Beweise" vor dem UNO-Sicherheitsrat waren "lächerlich", aber CNN wollte den Krieg (Seite 67). Da blitzt Mainstream-Halbwissen durch, das zudem zur Erläuterung der Person Stange und seiner Pro-Irak-Entscheidung nicht einmal nötig gewesen wäre.

Besser sind somit die ausführlichen Darstellungen, wie Stange von Exil-Irakern und deutschen Feuilletonisten vor dem Krieg vorgehalten wird, an seinem Geld klebe Blut. Ein halbes Jahr später dann, während eines Trainingslagers in Bad Wörrishofen im Sommer 2003, kommt Erwin Huber von der CSU und drängt mit Stange, mittlerweile zum "Botschafter des Friedens" avanciert, vor die Kameras. Und im Dezember erhält Stange gar den "Presidential Award" der FIFA. All das für seine Arbeit beim mühsamen und mitunter lebensgefährlichen Neuaufbau des irakischen Fußballs, der dem großen Ziel dienen soll: der Teilnahme an der Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland.

Das beste Kapitel ist das bitterste

Diese Schilderungen machen das Buch spannend, ebenso wie der "beste", weil wohl authentischste Abschnitt: der Geschichte des inoffiziellen Stasi-Mitarbeiters "Kurt Wegner". Im November 1973 unterschrieb Stange bei der Stasi eine Selbstverpflichtungserklärung. "Ich war das, was ich nie hätte werden sollen", bekennt Stange in einem persönlichen Beitrag, in dem er seine Motivation der Stasi-Mitarbeit und seine Verarbeitung der Dinge schildert. Dem gegenüber gestellt ist die Sicht des ehemaligen Stange-Freundes und Trainerkollegen Jörg Berger, den Stange nach dessen Flucht in den Westen 1984 im Auftrag der Stasi einmal telefonisch kontaktierte, woran Jahre später die Freundschaft zerbrach. Was Stange das "schnöde Versagen meines Anstandes" nennt, ist für Berger "eine reine Karrieregeschichte. Er [Stange] hat nur aus Karrieregründen, wie er nun einmal war, andere denunziert und verpfiffen." Stange sei "charakterlos, nach außen ein Blender." Dieses Kapitel gehört zum Besten des Buches, nicht weil es den Menschen Stange moralisch erniedrigt, sondern weil hier erahnbar wird, wie politische Umstände in das Leben auch und gerade von Sportgrößen der DDR eingriffen.

Angereichert wird Mallwitz' Biographie zudem durch zahlreiche Fotos, Erinnerungen diverser Weggefährten und Dokumente, die u.a. den bürokratischen Wahnwitz (ost-)deutscher Sportfunktionäre deutlich machen. So bleibt das Buch allein deshalb lesenswert und spannend. Und trotzdem bleibt unterm Strich: Mallwitz hatte einen Elfmeter. Er hätte ihn versenken können und versenken müssen. Das hat er nicht geschafft.

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