Buch-Kritik Sigmund Gottlieb: Sag mir, wo die Werte sind

Siegmund Gottlieb, Chefredakteur und Fernseh-Moderator reiht sich ein in die Reihe der Zeitgeist-Analytiker, die das Ende der Spaßgesellschaft sehen. Seine Sprache ist wohltuend, klingt nicht moralinsauer.

 "Sag mir, wo die Werte sind" von Sigmund Gottlieb

"Sag mir, wo die Werte sind" von Sigmund Gottlieb

Foto: Collection Rolf Heyne

Nein, es geht in dem Buch nicht um das Füllhorn materieller Werte und den leichten Weg, sie sich zu beschaffen. Das wäre auch zu ichbezogen. Sigmund Gottlieb, Chefredakteur des Bayerischen Fernsehens und Moderator manchen Polit-Talks, denkt gemeinschaftsbezogener. Er geht vom Ende der Spaßgesellschaft aus, die den sozialen und wirtschaftlichen Herausforderungen in Deutschland nicht länger gerecht wird. Dabei verteufelt Gottlieb bei Leibe nicht den Spaß und die Freude am Leben.

In Zeiten eines Gesellschaftsumbruchs sieht er den Staat mit existentiellen Fragen konfrontiert, er nimmt den Bürger in die Pflicht und verlangt individuelle Verantwortung. Wie und was kann - ja muss - der Einzelne tun, um die eigene Zukunft und die seiner Kinder zu gestalten und zu sichern? Und welche belastbaren Orientierungspunkte bieten sich auf diesem Weg an, der jede Menge Unsicherheit als einzige Gewissheit kennt. Sein Buch "Sag mir wo die Werte sind", sucht den anderen Ansatz in der lauter werdenden Werte-Diskussion. Hier ist nicht hochtrabend von der geistig-moralischen Wende die Rede, die von den Kirchen, Politikern und Pädagogen so gern gefordert wird. Gottlieb geht von den Fragestellungen der eigenen Familie, des Freundeskreises, der Arbeitswelt aus.

Der globale Terror verunsichert ohne Frage die Welt. Die jüngsten Anschläge auf die Londoner U-Bahn haben die Menschen schockiert. Die E-mail (elektronische Post) einer jungen Chinesin aus Hongkong an den Sohn des Hauses, legt den Finger in die Wunde - emotionsgeladene Worte angesichts der Schreckensbilder. "Wir haben unseren Besitz vervielfacht, aber unsere Werte vernachlässigt. Wir reden viel zu viel. Wir lieben nur ein bisschen, und wir empfinden viel zu viel Hass", wird sie zitiert. Wer so redet oder schreibt, klagt die Kälte der modernen Konsumgesellschaft an, in der Werte wie Familie, Rücksicht, Zeit, Freude und Urteilsfähigkeit zu verdorren drohen - zum Schaden aller.

Familien und Freundschaften zerbrechen über Nacht. Über fünf Millionen Arbeitslose fragen nach Chancen und Perspektiven. Koordinaten einer Gesellschaft zerbrechen, wenn Banken ihre Gewinne hoch puschen und Entlassungen im selben Atemzug als Gewinn steigernd verkünden.

Das Buch strotzt vor nachdenkenswerten Beispielen. Die Sprache ist wohltuend, nicht moralinsauer. Der moralische Zeigefinger bleibt unten, weil es nicht um geistige Bevormundung geht. Ist Gottliebs Buch konservativ und entlarvt es rückwärts gewandtes Denken? Wer das glaubt, entlarvt eher sich selbst. Die Moderne verlangt Veränderungen, auch im Denken. Wer dazu nicht in der Lage ist, der ist wirklich konservativ.

Egoismus ist out

Der frühere Bundespräsident Roman Herzog, der das Vorwort zu dem Buch schrieb, verweist auf seine 1997 in Berlin gehaltene "Ruckrede". Dort heißt es, "die Pflichtwerte gewinnen wieder an Bedeutung gegenüber dem, was die Soziologen so schön die Selbstverwirklichungswerte nennen. Egoismus allein ist nicht mehr in. Wir Älteren müssen uns die Frage stellen: Was leben wird den jungen Menschen vor? Welche Leitbilder geben wir ihnen?" Herzog hat Recht.

(Rheinische Post)
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