Bestseller-Autor John Irving im Interview Schlechte Menschen haben schlechte Hunde

Düsseldorf (RP). Der amerikanische Erfolgsautor John Irving bringt mit "Letzte Nacht in Twisted River" sein jüngstes Werk auf den Markt. Im Interview mit unserer Redaktion spricht der 68-Jährige über Bären, seine Romanfiguren, Hoffnungslosigkeit und erklärt, warum schlechte Menschen schlechte Hunde haben.

 John Irving hatte aufgrund seiner ersten sexuellen Erfahrungen lange Zeit kein normales Verhältnis zu älteren Frauen.

John Irving hatte aufgrund seiner ersten sexuellen Erfahrungen lange Zeit kein normales Verhältnis zu älteren Frauen.

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Der Bär spielt eine ziemlich große Rolle in Ihrem Werk, wie auch im jüngsten Roman, der mit einer verhängnisvollen Bär-Verwechslung beginnt. Welche Bedeutung haben für Sie die Bären?

 Der Roman erscheint bei Diogenes.

Der Roman erscheint bei Diogenes.

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Irving In fünf meiner Romane spielen Bären eine Rolle. In vier davon sind sie tatsächlich von einiger Bedeutung: Aber immerhin gibt es auch sieben Romane ohne Bären - also in mehr als die Hälfte meiner bisher erschienenen Bücher. Sie tauchen wie eine böse Vorahnung auf, mit der Bedeutung eines plötzlichen und unerwarteten Todes und Unfalls - eine urwüchsige Gewalt, die als Motiv immer wiederkehrt. Je öfters diese Gewaltakte wiederkehren, desto häufiger erwarten wir sie: Siggy in "Lass die Bären los!" wird von Bienen getötet, oder der Unfall von Merrill Overturf in "Die wilde Geschichte vom Wassertrinker"; Utch entkommt sowjetischen Soldaten, indem er sich in einem Kuhkadaver versteckt; der Tod von Garps Vater, der Tod von Walt, das Blenden von Duncun, die Ermordung von Mutter und Sohn in "Garp - und wie er die Welt sah"; der Tod der Mutter und des jüngsten Kindes in "Hotel New Hampshire", der Tod von Fuzzy und Dr. Larch in "Gottes Werk und Teufels Beitrag"; Owens Tod und dem seiner Mutter in "Owen Meany"; Teds Tod, der Verlust der beiden Söhne und der Tod von Ruths erstem Ehemann in "Witwe für ein Jahr" (abgesehen vom Mord an der Prostituierten); Otto Clausens Tod im Biertransporter in "Die vierte Hand"; Alice' Tod in "Bis ich dich finde" und all die Toten in "Letzte Nacht in Twisted River". Das sind die Motive, die in jedem Roman wiederkehren. Die Bären sind da nicht so wichtig. Ich mag Bären. Die meiste Zeit meines Lebens habe ich im Norden von Neu-England gelebt, später in Neu-England und Kanada. Jedes Jahr sehe ich Schwarzbären, den letzten im August 2009. Er schwamm in der Georgian-Bay von einer Insel zur anderen. Mit meiner Frau und meinem jüngsten Sohn habe ich ihn noch eine Weile mit dem Boot verfolgt.

Gewalttätig sind immer wieder auch Hunde, gegen die man sich wehren muss: Garp beißt einem Hund sogar ein Ohr ab; und im jüngsten Roman muss sich der Held, der Schriftsteller Danny, täglich mit zwei Squash-Schlägern gegen einen Hund wehren ...

Irving . . . ich hatte immer Hunde - und ich mag Hunde. Die Hunde in meinen Roman spiegeln eine altbekannte Tatsache: Hunde haben entweder gute Besitzer oder schlechte. Anders gesagt: Schlechte Menschen haben auch schlechte Hunde; es ist normalerweise nicht die Schuld eines Hundes. Sie müssen wissen, mein ältester Sohn hatte viele Jahre lang einen Pitbull-Terrier - es war der süßeste Hund, den man sich nur vorstellen kann. Aber wenn die Menschen ihn sahen, zuckten sie automatisch zusammen, weil er der typische Hund eines Drogendealers ist. In ihren Vorstellungen gab es keinen Unterschied, ob nun ein Dealer oder mein Sohn den Pitbull erzogen hat. In "Twisted River" erkennt Danny, dass er den Hundebesitzer, nicht den angreifenden Hund erschießen möchte. In diesem Roman gibt es aber auch "Hero", der Hund des Holzfällers Ketchum, ein gutes Tier.

Der Leser kennt einige Motive aus "Twisted River" aus früheren Romanen. Sind Ihre Geschichten Teil einer "Irving-Welt", in der einzelne wichtige Motive immer und immer wiederkehren?

Irving Hätte es zu Shakespeares Zeiten Interviews mit dem Autor gegeben, hätten wir ihn wahrscheinlich danach gefragt, woher seine Faszination für das Königtum und all die Störungen in den königlichen Familien kommt. Oder wenn wir die Möglichkeit gehabt hätten ein Gespräch mit Sophokles zu führen, würden wir uns vielleicht bei ihm erkundigen, warum er so auf den Inzest fixiert ist. Ich glaube einfach, dass für die meisten Schriftsteller die Wiederholung eine natürliche Begleiterscheinung ist, um etwas Wichtiges zu sagen; oder eine Art Obsession, die einen nicht loslässt. Mir ist die Struktur und die jeweilige Architektur meiner Romane sehr wichtig. Auch deshalb würde ich nicht sagen, dass meine Bücher insgesamt eine Einheit darstellen. Dass einige Themen wiederholt auftauchen, ist meines Erachtens unvermeidbar.

Träumen Sie manchmal von Ihren Romanfiguren?

Irving Ich träume von der Geschichte, der Handlung - nicht von den Figuren.

Danny, der weltberühmte Autor und Held in "Twisted River", ist so alt wie Sie. Er schreibt am selben Buch, schreibt den gleichen ersten Satz. Wie weit ist Danny von John Irving entfernt?

Irving Ich habe Danny meine Schriftsteller-Biographie gegeben. Wir sind gleich alt; wir sind auf die gleichen Schulen gegangen; wir schreiben die gleichen Bücher, wir haben die gleiche Art zu schreiben. Aber damit haben die Gemeinsamkeiten auch schon ein Ende. Wir haben erheblich unterschiedliche Leben. Ich habe Danny ein Leben gegeben, das ich fürchte: ein Leben wie ein Alptraum. Alles was er fürchtet zu verlieren, verliert er auch. Jeden, den er geliebt hat, ist gestorben. Am Ende ist er das, was man einen Einsiedler nennen könnte. Und er ist ein politischer Außenseiter, ich weiß, er hat sich dazu selbst entschlossen, aber er ist Mensch ohne wirkliche Heimat. Auch Garp ist ein Schriftsteller, aber kein Schriftsteller wie ich, dafür ein Mann und ein Vater wie ich. Ruth Cole war mir als Autor - nicht als Person - sehr nahe. Und Danny ist jetzt mein dritter Romanheld, der Schriftsteller ist. Und er ist mir als Autor am allernächsten, aber als Person am entferntesten.

Ich weiß, es ist eine alte Frage, die sich dennoch immer wieder stellt: Wie autobiographisch sind ihre Romane insgesamt?

Irving Unmöglich, darauf eine allgemeine Antwort zu geben. Im neuen Buch sind die autobiografischen Bezüge eher oberflächlich. Der weitaus größte Teil ist erfunden. Auch in meinem autobiografisch bisher am stärksten geprägten Buch - "Bis ich dich finde" - habe ich mehr erfunden als aus meinen Erinnerungen geschöpft. Gerade in den Passagen mit autobiografischen Bezügen habe ich stärker fiktionalisiert. Die Frage nach Autobiografischem in Romanen ist meiner Meinung nach Zeitverschwendung. Der Koch und Ketchum streiten sich in "Twisted River" endlos darüber, was in den Romanen von Danny wahr oder erfunden ist. Das ist letzten Endes aber eine schwache Art und Weise, Romane zu lesen. Kannte Shakespeare eine Menge dysfunktionale königliche Familien? Kannte Sophokles jemanden, der seinen Vater ermordete und mit seiner Mutter schlief? Romane und Dramen beschränken sich nicht auf das reale Leben von irgend jemanden.

Am Ende des "Twisted-River"-Romans wird auch der Irak-Krieg erwähnt und die Machtlosigkeit des Einzelnen, die Welt zu verändern, wie Danny sagt. Wie beurteilen Sie die Möglichkeiten?

Irving Danny sagt das nicht im Sinne eines einzelnen Menschen, sondern - noch absurder - als Schriftsteller. Die Sicht auf den 11. September ist in dem Buch stets als die Sicht der Romanfiguren zu verstehen - und das in einem sehr schwierigen Moment ihres Lebens. Ich selbst habe nichts zu sagen über den Krieg gegen Terroristen, weil das nicht meine Angelegenheit ist.

Viele Menschen sterben in Ihrem jüngsten Roman. Manche laufen vor dem Tod davon; andere scheinen ihn zu erwarten. Ist der Roman auch eine Art Totentanz - etwa mit dem Sheriff als eine Person des Todes und mit der geheimnisvollen Fallschirmspringerin Lady Sky als eine Art Engel?

Irving Viele Menschen sterben, nicht nur in meinem Buch. Ich möchte vielmehr einen psychologischen Effekt erzielen: Wir verlieren Menschen in unserem Leben; oder bevor wir sie verlieren denken wir daran, einen geliebten Menschen zu verlieren. Und warum machen wir das? Ist es nicht menschlich? Ich versuche, zu ergründen, was Menschen tun, was sie fühlen. Der Totentanz ist keine schlechte Beschreibung für meine Romane, sicherlich, man nennt sie auch böse. Ich mag dieses Image. Ich habe nicht bewusst eine Gegenposition zum Sheriff im Roman entwickelt, also nichts ausgesprochen Gutes im Gegensatz zum Teufel; aber ihn im Vergleich zu Lady Sky zu sehen, ist ein guter Weg, das Ende der Romans zu beschreiben. Ich mag diese Sicht.

Würde der Roman - spielte er zur Regierungszeit von Barack Obama - möglicherweise eine hoffnungsvollere Sicht auf die Zukunft bekommen?

Irving Natürlich beeinflussen mich politische Parteien, Präsidenten und politische Haltungen. Ich meine, all das beeinflusst mein Leben, also das, worüber ich rede, was mich ärgert, was man Leben berührt undsoweiter. Aber meine Perspektive als Autor hängt niemals davon ab, wer Präsident ist; und sie wird davon auch nicht verändert.

(RP)
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